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Gordischen Knoten in der Landwirtschaftspolitik durchschlagen
News | 16.03.2022
#Tierschutz #Landwirtschaft und Gentechnik

Gordischen Knoten in der Landwirtschaftspolitik durchschlagen

Tiergerechte Freilandhaltung von Schweinen mit Hütten
© Deutscher Tierschutzbund e.V.
Tiergerechte Freilandhaltung von Schweinen mit Hütten

Im Grundgesetz ist der Tierschutz als Staatsziel verankert. Dafür ist es unerlässlich, die Intensivtierhaltung in der Landwirtschaft stärker mit dem Tierschutz in Einklang zu bringen. Der Deutsche Tierschutzbund sieht die Ampelregierung auf einem guten Weg zu einer Wende in der Tierhaltung. Aber es ist eine Mammutaufgabe.

Es ist gute Tradition, einer neuen Regierung 100 Tage zu gewähren, damit sie sich sortieren und auf ihre Aufgaben vorbereiten kann. Im Bereich der landwirtschaftlichen Tierhaltung sind diese Aufgaben immens. Der Koalitionsvertrag der Ampel sieht zahlreiche Maßnahmen vor, um den Reformstau der vergangenen vier Legislaturperioden aufzulösen. Ein dickes Pflichtenheft erwartete den neuen Minister Cem Özdemir, der mit seiner Kritik am Preisdumping bei Fleisch gleich zu Beginn seiner Amtszeit den Finger in die Wunde legt: Solange Fleisch dazu dient, die Preisschlachten der Discounter auszutragen, und die Verbraucher*innen dem Billigpreis folgen, wird es keine nachhaltigen Verbesserungen im Tierschutz geben.

Es muss dieser Regierung gelingen, den gordischen Knoten der Landwirtschaftspolitik zu durchschlagen. Solange Tiere in der Landwirtschaft genutzt werden, muss deren Schutz im Mittelpunkt aller Gesetzgebung stehen. Das schreibt das Staatsziel Tierschutz im Grundgesetz seit mittlerweile exakt 20 Jahren vor, bisher leider ohne Konsequenz. Die Landwirt*innen müssen nicht nur ein Auskommen, sondern auch eine langfristige Perspektive erhalten, damit sie in moderne Tierhaltung investieren. Verbraucher*innen müssen in die Lage versetzt werden, sich bewusst für mehr Tierschutz an der Ladentheke zu entscheiden. Die negativen Auswirkungen der landwirtschaftlichen Tierhaltung auf Umwelt und Klima sind deutlich zu reduzieren.

Artgerechte Tierhaltung braucht mehr Geld für den Umbau und eine verpflichtende Tierschutzkennzeichnung

In der Vergangenheit gab es verschiedene Ideen, wie dieser gordische Knoten zu zerschlagen ist. Zuletzt hat die Zukunftskommission Landwirtschaft skizziert, wie das funktionieren kann: Die Tierbestände müssen sinken, das Ordnungsrecht deutlich angehoben, vegetarische und vegane Alternativen gefördert werden. Es muss mehr Transparenz ins System – und auch mehr Geld für den Umbau der Tierhaltung.

Eine verpflichtende Tierschutzkennzeichnung, die nicht nur die Haltung, sondern auch die Zucht, den Transport und die Schlachtung der Tiere umfasst, ist ein elementarer Schritt zu mehr Tierschutz. Eine solche Kennzeichnung ermächtigt nicht nur die Verbraucher*innen, sich bewusst für mehr Tierschutz zu entscheiden – sie eröffnet auch den Landwirt*innen die Chance, für eine bessere Tierhaltung deutlich mehr Geld zu erhalten. Darüber hinaus sieht der Koalitionsvertrag vor, die lange überfälligen Lücken im Ordnungsrecht endlich zu schließen. Bisher gibt es beispielsweise keine Haltungsvorgaben für Rinder, Puten, Wassergeflügel.

Es ist jedoch klar, dass eine so wichtige Aufgabe wie die Reform der landwirtschaftlichen Tierhaltung nicht allein durch ordnungsrechtliche Vorgaben zu erreichen ist. Der gesellschaftliche Anspruch an einen Umgang mit Tieren in der Landwirtschaft, der dem Staatsziel Tierschutz entspricht, muss auch über den Marktpreis hinaus durch staatliche Mittel finanziert werden. Dass das Bundeslandwirtschaftsministerium eine Fleischabgabe prüft, ist ein gutes Zeichen.

Frank Meuser
Die Tiere wurden dem System angepasst, mit allen dramatischen Folgen für den Tierschutz. Die Politik hat dieses System befeuert statt reguliert.
Frank Meuser, Deutscher Tierschutzbund
Geschäftsführer Politik

Die Nutztierhaltung in Deutschland ist ein gewachsenes System, das sich in den vergangenen Jahrzehnten auf immer größere Tierzahlen, Wachstum und Export ausgerichtet hat. Dabei folgte es den Kriterien des Marktes: Skaleneffekte, Fixkostendegression, Wachsen oder Weichen. Die Tiere wurden dem System angepasst, mit allen dramatischen Folgen für den Tierschutz. Die Politik hat dieses System befeuert statt reguliert. Die Appelle von Tier- und Naturschützern verhallten meist wirkungslos.

Statt technischer Debatten über Stallgrößen und Viehbestände ist ein ethischer Diskurs über die Bedingungen der Tierhaltung notwendig

Der Koalitionsvertrag ist ambitioniert. Es wird aber nicht reichen, ihn Punkt für Punkt abzuarbeiten, um die Tierhaltung in der Landwirtschaft dem Staatsziel Tierschutz in Artikel 20 unseres Grundgesetzes anzupassen. Denn das ist mit rein technischen Debatten über Haltungsformen, Stallbauten, Bestandsgrößen nicht erreichbar. Die Ampel ist angetreten, um die großen Fragen von Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit anzugehen. Wenn sie diesen Anspruch ernst nimmt, muss sie die ethische Debatte anstoßen und führen, unter welchen Bedingungen es in Zukunft erlaubt sein darf, Tiere zum Nutzen von Menschen zu halten. Immer mehr Menschen lehnen landwirtschaftliche Tierhaltung ab, ernähren und kleiden sich vegan oder vegetarisch.

Es wird also die Aufgabe der Ampel sein, die Weichen für den Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung vor dem Hintergrund der Megatrends und der gesellschaftlichen Debatten um den ethischen Umgang mit unserer Umwelt und den Tieren zu stellen. Die Gesellschaft ist in dieser Frage der Politik bisher meilenweit voraus. Diese Legislaturperiode bietet die Chance, endlich ein Umdenken, ja, eine Wende in der Tierhaltung einzuläuten. Diesen Diskurs zu führen, zu begleiten und schließlich in eine Politik zu gießen, die alle Beteiligten mitnimmt, aber das Tier wieder in den Mittelpunkt der Debatte stellt, ist die große Chance der Ampel. Aus dem Koalitionsvertrag lässt sich die Bereitschaft ablesen, diese große Herausforderung anzunehmen. Es besteht also Hoffnung für die Tiere.

Der Autor

Frank Meuser ist Geschäftsführer Politik beim Deutschen Tierschutzbund. Der Politik- und Wirtschaftswissenschaftler sieht in der politischen Kommunikation die Voraussetzung, eine Wende in der Intensivtierhaltung in der Landwirtschaft im Sinne eines echten Tierschutzes voranzubringen.

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