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KI-Verordnung der EU schützt Menschenrechte, aber kaum die Umwelt
News | 11.10.2024
#Digitalisierung #Politik und Gesellschaft

KI-Verordnung der EU schützt Menschenrechte, aber kaum die Umwelt

KI-Verordnung EU
© Pixabay
Die EU setzt der Künstlichen Intelligenz Grenzen

Mit der Verordnung über Künstliche Intelligenz, die im August in Kraft getreten ist, gibt die Europäische Union einen rechtlichen Rahmen für die Entwicklung, den Einsatz und die Nutzung von KI vor. Die Regelung soll einen ausgewogenen Ausgleich zwischen Nutzen und Risiken von KI schaffen. Der Schwerpunkt liegt auf gesellschaftlichen Risiken, ökologische Nachhaltigkeit hingegen wird vernachlässigt.

Der Trend zur Künstlichen Intelligenz (KI) hat in den letzten Monaten nicht nur die Aktienkurse des KI-Chip Herstellers NVIDIA in die Höhe getrieben, sondern auch den Energieverbrauch von digitalen Infrastrukturen. Die Internationale Energieagentur (IEA) prognostiziert, dass sich der weltweite Energieverbrauch von Rechenzentren wegen des KI-Trends von 460 Terawattstunden im Jahr 2022 bis zum Jahr 2026 auf 1000 Terawattstunden mehr als verdoppeln wird. Dies entspricht einer jährlichen Steigerungsrate von 21 Prozent. 

Dass diese Prognose nicht überzogen ist, zeigen beispielsweise die Zahlen aus Googles diesjährigem Nachhaltigkeitsbericht. Der Suchmaschinenkonzern hat seinen Stromverbrauch von 21 Terawattstunden im Jahr 2022 auf 25 Terawattstunden im Jahr 2023 um 18 Prozent gesteigert. Auch die anderen großen Tech-Konzerne fahren im Zusammenhang mit KI einen klaren Wachstumskurs. Microsoft möchte 3,2 Milliarden Euro für den Bau zweier KI-Rechenzentren westlich von Köln investieren, die geschätzt 3,5 Terawattstunden Strom pro Jahr benötigen werden. Dies entspricht dem jährlichen Stromverbrauch einer Million deutscher Haushalte.

Jens Gröger
Microsoft plant zwei KI-Rechenzentren westlich von Köln, die geschätzt 3,5 Terawattstunden Strom pro Jahr benötigen werden. Dies entspricht dem jährlichen Stromverbrauch einer Million deutscher Haushalte.
Jens Gröger, Öko-Institut
Senior Researcher

Doch die Umweltauswirkungen von KI reichen weit über den Energieverbrauch von Rechenzentren hinaus. Wissenschaftler*innen warnen zunehmend vor weniger offensichtlichen, aber potenziell verheerenden Risiken, die auftreten, wenn KI-Systeme nicht auf ökologische Ziele ausgerichtet werden. Stellen Sie sich eine KI vor, die die Logistik von globalen Einzelhandelsunternehmen optimiert: Ohne klare Umweltvorgaben könnte sie Lieferketten so gestalten, dass die Kosten sinken, während der CO2-Fußabdruck gleichzeitig massiv ansteigt. In der Landwirtschaft könnten fehlgeleitete KI-Systeme zu einer übermäßigen Düngemittelanwendung führen, mit gravierenden Folgen für Böden und Gewässer. Jenseits solcher Nebenwirkungen für die Umwelt werden viele KI-Geschäftsmodelle ganz bewusst in einer Weise ausgerichtet, die ökologische Probleme verstärken und beschleunigen könnten: Personalisierte Chatbots, die Konsument*innen überzeugen, immer mehr zu kaufen, selbstfahrende Autos, die auch ohne Passagiere unterwegs sind, oder Anwendungen, die Unternehmen dabei helfen, Umweltauflagen zu umgehen. Für solche Wirkungen der KI, die als indirekte oder systemische Umwelteffekte bezeichnet werden, gibt es bislang wenig Bewusstsein. 

Was bedeutet die KI-Verordnung für die nachhaltige Transformation?

Die europäische KI-Verordnung (EU/2024/1698) legt ihren Schwerpunkt auf die gesellschaftlichen Risiken von KI und leistet einen wichtigen Beitrag zum Schutz wichtiger Menschenrechte und Sicherheitsinteressen. Umweltwirkungen behandelt die Verordnung dagegen stiefmütterlich. So sollen die Mitgliedstaaten und das mit der Umsetzung der Verordnung befasste „KI-Büro“ die Entwicklung von freiwilligen „Verhaltenskodizes“ erleichtern, die auch Anforderungen für die Beurteilung und die Minderung der Umwelteffekte von KI Systemen betreffen (Art. 95 Abs. 2). Neu zu entwickelnde Standards sollen auch Methoden zur Messung des Energie- und sonstigen Ressourcenverbrauchs beschreiben (Art. 40 Abs. 2). Anbieter von „KI-Modellen mit allgemeinem Verwendungszweck“ – womit vor allem die sogenannten „Large Language Models“ gemeint sind – sollen in einer technischen Dokumentation den „bekannten oder geschätzten Energieverbrauch des Modells“ angeben (Art. 53 Abs. 2 i.V.m. Annex XI). Verbindliche Vorgaben gibt es kaum, wichtige Fragen zur Methodik werden delegierten Rechtsakten überlassen. Immerhin versteht sich die KI-Verordnung als veränderliches Regelwerk, das aus der Praxis lernt und auch mit Blick auf ökologische Aspekte angepasst werden kann (z.B. Art. 112 Abs. 2; Art 57 Abs. 9). 

Peter Gailhofer
Es ist zu hoffen, dass die regulatorischen Leerstellen bei der ökologischen Nachhaltigkeit von KI durch „regulatorisches Lernen“ bald geschlossen werden. Das ist auch deshalb zentral, weil KI große Potenziale hat, zu einer nachhaltigen Transformation beizutragen.
Peter Gailhofer, Öko-Institut
Senior Researcher

Es ist zu hoffen, dass die regulatorischen Leerstellen bei der ökologischen Nachhaltigkeit von KI gerade durch ein solches „regulatorisches Lernen“ bald geschlossen werden. Das ist vor allem auch deshalb zentral, weil KI natürlich nicht nur Risiken schafft, sondern auch große Potenziale hat, zu einer nachhaltigen Transformation beizutragen. Auch um diese Potenziale zu heben, bedarf es einer intelligenten Regulierung. Erste Schritte einer solchen sollten helfen, Evidenz und Transparenz zu den Umweltwirkungen von KI-Modellen, Systemen und Anwendungen zu schaffen. Was sich im Bereich der Haushaltsgeräte durch verbindliche Energieeffizienzkennzeichnungen als wirksames Instrument herausgestellt hat, kann auch bei den direkten Effekten von KI genutzt werden. Jede ChatGPT-Anfrage könnte beispielsweise im Datenpaket der maschinellen Antwort eine Information über die soeben verbrauchte Energiemenge mitliefern. 

Zivilgesellschaft und Umweltwissenschaft können gemeinsam eine ökologische KI entwickeln

Auch bei den systemischen Umweltwirkungen von KI geht es zunächst darum, Wissenslücken zu schließen. Trägt eine KI-Anwendung zu einem Mehrverbrauch an Energie- oder Ressourcen in einem nachgelagerten technischen System bei oder verändert es Verhaltensmuster, die sich ökologisch nachteilig auswirken, so muss der Zusammenhang sichtbar werden. Sobald wir Auswirkungen und ihre Ursachen kennen, kann auch auf systemische Umwelteffekte gesetzlich reagiert werden, zum Beispiel durch die Festlegung von Mindestanforderungen, vergleichbar mit Ökodesign-Vorgaben, oder durch ökonomische Instrumente wie den CO2-Emissionshandel. Wenngleich die KI-Verordnung selbst in umweltpolitischer Hinsicht enttäuscht, zeigt sie Wege auf, wie solche dynamisch lernenden Ansätze einer ökologischen Regulierung – auch auf der Ebene nationaler Gesetze – aussehen könnten. Bei dieser Aufgabe können Zivilgesellschaft und Umweltwissenschaft eine wichtige Rolle spielen. So können wir gemeinsam dazu beitragen, dass die KI nicht zum ökologischen Tsunami wird.

Die Autoren

Jens Gröger ist Senior Researcher im Institutsbereich Produkte & Stoffströme beim Öko-Institut in Berlin. Der Experte für nachhaltige Informations- und Kommunikationstechnik analysiert Umweltauswirkungen von Soft- und Hardware.

Dr. Peter Gailhofer ist Senior Researcher beim Öko-Institut in Berlin. Der Jurist forscht im Bereich Umweltrecht & Governance zu Umweltschutz, Menschenrechten und der Regulierung globaler und digitaler Wertschöpfungsketten.

Weitere Informationen 

The European Parliament’s amendments to the AI Act

The role of Artificial Intelligence in the European Green Deal

 

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