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Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen
News | 09.07.2024
#Biodiversität und Naturschutz #Klima und Energie #Nachhaltigkeit

Ökotourismus – nah und fern

Kanufahrer in Slowenien
© pixabay/melvin
Kanufahrer paddeln in Sloweniens Natur

Grenzen überschreiten, den Horizont erweitern, fremde Menschen und Kulturen kennenlernen oder einfach mal entschleunigen – all das kann erleben, wer in die Ferne schweift. Reisen hat derzeit wieder Hochsaison und auch der Massentourismus wächst. Damit der Fremdenverkehr allen gerecht wird – den Gästen, den Einheimischen, der Natur – gilt es, einen fairen Ausgleich zu finden. Wie das gelingen kann, berichtet Rolf Spittler vom Verband für nachhaltigen Tourismus.

Interview

Für den Erhalt einer intakten Umwelt und den Schutz des Klimas ist im Rahmen der Nationalen Tourismusstrategie die Nationale Plattform Zukunft des Tourismus geschaffen worden. Wie lauten Ihre wichtigsten Empfehlungen, um das Reisen klimafreundlich und nachhaltig zu gestalten?

Der zentrale Punkt ist, dass man die Tourismuspolitik konsequent am Ziel der Nachhaltigkeit ausrichtet. In der Nationalen Tourismusstrategie und der Nationalen Plattform ist Nachhaltigkeit nur ein Thema unter anderen. Neben strukturellen und konzeptionellen Vorgaben, um einen nachhaltigen Tourismus umzusetzen, sind inhaltliche Aspekte bedeutend. Der Tourismus greift in unterschiedlichste Bereiche ein – sei es der Verkehr, Abfall oder Energieversorgung. In den touristischen Regionen Deutschlands muss es dafür Angebote geben, die nachhaltig sind. Das heißt, Gäste müssen die Möglichkeit haben, ohne Pkw anzureisen und sich vor Ort ohne Auto bewegen zu können, das Hotel und Freizeitangebote müssen umweltfreundlich strukturiert sein. Die Nationale Tourismusstrategie wird nur den groben Rahmen dafür festlegen können.

Umweltverträglich reisen beginnt schon mit der Wahl des Transportmittels. Was muss geschehen, damit die Bahn eine echte Alternative zum Fliegen oder Autofahren wird?

Um nachhaltig im Inland zu reisen, ist die Bahn schon eine gute Alternative. Trotz aller Kritik an der Bahn haben wir da eine ganz gute Grundstruktur. Beim innerdeutschen Tourismus wird es aber auch notwendig sein, in den ländlichen Regionen attraktive, bedarfsgerechte Mobilitätsangebote zu schaffen. Daran mangelt es oft noch, vor allem auf der sogenannten letzten Meile. Ich komme noch in die Region, habe dann aber Schwierigkeiten, mich dort ohne Auto fortzubewegen. Die gesamte Reisekette muss durchgängig sichergestellt sein. Bei Fernreisen ist das natürlich schwieriger. Innerhalb Europas funktioniert es vielleicht noch mit der Bahn, dennoch muss auch hier das Angebot deutlich verbessert werden – mit Nachtzügen, mit durchgehenden Verbindungen, die von der Zeit und vom Preis her konkurrenzfähig sind mit dem Flugverkehr.

Rolf Spittler
Viabono ist eine Zertifizierung vor allem für Hotel- und Gastronomiebetriebe, die nachhaltig orientiert sind. Wie hoch ist der Energieverbrauch? Wie hoch ist das Abfallaufkommen? Wird auf Einwegverpackungen verzichtet?
Rolf Spittler, Verband für nachhaltigen Tourismus
Stellvertretender Vorsitzender

Was müssen Gastgeber tun, um die Viabono-Zertifizierung, eine Auszeichnung für umwelt- und klimafreundliches Reisen zu erhalten?

Viabono ist eine Zertifizierung vor allem für Hotel- und Gastronomiebetriebe, die 2002 von den wichtigsten Tourismus-, Umwelt- und Verbraucherverbänden geschaffen wurde. Wesentliche Voraussetzung ist, dass die Betriebe umweltverträglich und nachhaltig orientiert sind. Im Lauf der vergangenen Jahre sind wir dazu übergegangen, nicht Maßnahmen abzufragen, sondern Ergebnisse: Wie hoch ist der Energieverbrauch? Wie hoch ist das Abfallaufkommen? Wird auf Einwegverpackungen verzichtet? Diese Ergebnisse werden dann pro Gast heruntergerechnet und mit anderen Betrieben verglichen.

In der Sommerhitze zieht es die Menschen ans Wasser. Ein aktuelles Projekt Ihres Vereins sucht nachhaltige Lösungen für Wassersportarten. Was gilt es zu regeln?

Das ist ein Projekt in Kroatien und Slowenien, wo es darum geht, den Kanusport in Natura-2000-Gebieten umweltverträglich zu gestalten. Dort werden konkrete Angebote entwickelt, die mit den Schutzzielen abgeglichen werden, damit es keine Beeinträchtigungen gibt. In Deutschland diskutieren wir gerade auch wieder verstärkt über das Thema Wassersport. Wir haben bereits in der Vergangenheit naturschutzverträgliche Konzepte entwickelt, damit es keine Übernutzung auf den Gewässern gibt. Also nicht zu viele Kanufahrer, die die Natur beeinträchtigen. Mit den Reiseveranstaltern muss gesprochen werden über Begleitangebote, Übernachtungsangebote, Anreise, Abreise. Es gibt Überlegungen, in Deutschland Zertifizierungen für Kanugewässer einzuführen. Denn es gibt den Trend, dass zum Beispiel Partytouren auf den Gewässern stattfinden, das wollen wir erst recht nicht in Schutzgebieten. Hier muss man darauf achten, dass die Nutzer nicht über die Stränge schlagen, dass sie keinen Müll ins Wasser werfen und den Müll wieder mitnehmen. Das heißt kleinere Gruppen, eine Einführung, Informationen über Natur und Landschaft: warum ist dieses Gebiet geschützt, was ist der besondere Wert dieses Gebietes? Es kann das Erlebnis der Gäste erhöhen, wenn sie wissen, sie sind auf einem Gewässer, in dem besondere Arten vorkommen. Wenn sie das erkennen und schätzen, ist das sehr bereichernd.

Den Verein Ökologischer Tourismus in Europa und den DNR verbindet eine über 30jährige Geschichte. Wie nahm die ihren Anfang?

1991 ist der ÖTE gegründet worden, Gründungsmitglied war der DNR. Ziel war es damals, eine Interessensvereinigung der Umwelt-, Verbraucher- und Freizeitverbände zu schaffen, die sich um die Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus kümmert. Wir wollten für den Dachverband sozusagen als Fachstelle für nachhaltigen Tourismus arbeiten. Ein erstes großes Projekt war der Grüne Koffer. Das war der Versuch, eine erste Umweltzertifizierung im Tourismus einzuführen. Dafür hatten wir für touristische Orte, für Reiseveranstalter und Beherbergungsbetriebe Kriterienkataloge entwickelt, wie nachhaltiger Tourismus aussehen kann und was notwendig ist, um das zu erreichen. Aber damals war die Zeit noch nicht reif, es gab Widerstände der Tourismuspolitik und -anbieter. Zehn Jahre später ist dann Viabono entstanden.

Welchen Weg wählen Sie, wenn Sie zu fernen Zielen aufbrechen?

Ich persönlich als Spanienfan bleibe immer innerhalb Europas, meine einzige Fernreise ist Jahrzehnte her. Die Anreise nach Spanien oder die Kanarischen Inseln ist mit einem begrenzten Zeitbudget ohne Flug sehr beschwerlich, einmal im Jahr fliege ich im Frühling dahin zum Wandern. Der Flugverkehr wird auch in Zukunft ein zentrales Problem bleiben, umso wichtiger ist es, daran zu arbeiten, ihn nachhaltiger zu gestalten. Im Herbst geht es mit der Bahn an die deutsche Ostseeküste.

Der Interviewpartner

Rolf Spittler ist Diplom-Geograph und stellvertretender Vorsitzender des Verbands für nachhaltigen Tourismus (Ökologischer Tourismus in Europa – Linking Tourism and Conservation / Ö.T.E.-LT&C).

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