Tierschutz nicht zum Nulltarif
Tierschutz steht als Staatsziel im Grundgesetz und als Aufgabe im Koalitionsvertrag der Ampelregierung. Im Dezember 2022 legte das Bundeslandwirtschaftsministerium Eckpunkte des Bundesprogramms zum Umbau der Tierhaltung vor. Aus Sicht des Tierschutzbunds ist aber bisher zu wenig zum Wohl der Tiere passiert. Bei zahlreichen Themen hinkt die Politik hinterher.
Freilaufende Hühner, Schweine, die sich Schlamm suhlen und Rinder, die auf der Weide grasen, statt im Stall zu stehen – ein realistisches Szenario oder idealisierender Etikettenschwindel?
Eher ein notwendiges Szenario. Wir müssen erreichen, dass insgesamt weniger tierische Lebensmittel produziert und konsumiert werden. Das ist sowohl aus Klimaschutzgründen als auch aus Tierschutzgründen geboten. Das bedeutet, dass weniger Tiere besser gehalten werden müssen. In Haltungssystemen mit Weide, Frischluft und einem ausreichend großen Platzangebot - weil das zum tiergerechten Leben eindeutig dazu gehört. Das Bundesprogramm ist sicherlich gut, aber absolut nicht ausreichend, schon allein von den Finanzmitteln her.
Sie sagen, ein Mehr an Tierschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Was braucht es neben mehr Geld für den Umbau von Ställen, damit Tiere ein artgerechtes Leben führen können?
Wir brauchen eine Mischung aus Ordnungsrecht, Anreizsystem und Fördergeldern. Die Transformation der landwirtschaftlichen Tierhaltung wird vermutlich in Zeitplänen passieren, denn die Landwirte, die bisher mit geschlossenen Stallsystemen gewirtschaftet haben, können nicht von heute auf morgen umstellen. Also braucht es einen Übergang. Essenziell ist aber erstmal, ein Ziel, eine Strategie vorzugeben, damit auf allen Ebenen Planungssicherheit entsteht. Dafür braucht es einen klaren ordnungsrechtlichen Rahmen. Zum Fördergeld gehört wesentlich mehr als die eine Milliarde. Wir brauchen pro Jahr vier bis fünf Milliarden. Anreizsysteme können Label sein. Kennzeichen, die dem Landwirt, der jetzt sofort beginnt, etwas besser zu machen für die Tiere, im Markt einen Vorteil verschaffen, gegenüber dem Handel bei Preisverhandlungen, aber auch gegenüber dem Verbraucher. Der Verbraucher muss begreifen, was er mit seinem Einkauf eigentlich unterstützt. Es ist ein Zusammenspiel aller gesellschaftlichen Ebenen.
Kommen wir zu den Wildtieren: Die gute Nachricht: Laut Rewilding Europe breiten sich wilde Tiere wie Biber, Bisons, Elche, Wölfe wieder in Europa aus. Die schlechte: Exotische Wildtiere sind als „Haustiere“ beliebt. Das bedeutet nicht nur für die Tiere oft jahrelanges Leid, aufgrund artfremder Haltung, sondern ist auch schlecht für die biologische Vielfalt und für die menschliche Gesundheit. Gemeinsam mit weiteren Tierschutzorganisationen und dem DNR fordern Sie Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir auf, im Rahmen der Novellierung des Tierschutzgesetzes auch den Handel mit und die Haltung von Wildtieren zu regeln. Welche sind Ihre wichtigsten Forderungen?
Ich möchte aus Tierschutzgründen, aber auch aus Artenschutzgründen, dass wir eine Positivliste haben, die klargestellt, welche Tierart in privater Hand gehalten werden darf und welche nicht. Für die Tiere, die dann nicht auf der Liste stehen, aber schon in Privathand leben, braucht es Übergangsregelungen. Klar ist aber, dass nicht nachgekauft oder nachgezüchtet werden darf, damit die Haltung dieser Tiere ausläuft. Exotische Wildtiere sind in privater Hand kaum artgerecht zu halten; sie leiden vielfach unter den schlechten Bedingungen. In den Tierheimen haben wir mit steigenden Zahlen der Exoten zu kämpfen. Das wird auch deshalb zum Problem, weil jeder überall spontan und ohne Weitblick Tiere kaufen kann.
Auch der Onlinehandel mit Haustieren ist ein Problem, das wiederum die schwierige Situation in Tierheimen häufig verschärft. Welche Maßnahmen können dem entgegenwirken?
Neben einer Positivliste brauchen wir auch ein Verbot des Onlinehandels mit allen lebenden Tieren – egal, ob Exot oder Hundewelpe. Der Onlinehandel läuft derzeit fast gänzlich unreguliert. Jeder kann Tiere online kaufen und verkaufen. Teilweise werden Tiere dann sogar per Postpaket verschickt. Das gehört unterbunden. Zudem müssen an den Flughäfen, an den Grenzen mehr Kontrollen stattfinden. Das muss europaweit und international gedacht werden. Deutschland allein kann das nicht lösen.
Neben dem Onlinehandel sind auch Tierbörsen ein großes Problem; auch hier brauchen wir ein Verbot. Es gibt in Hamm die international größte Reptilienbörse, wo in der Halle das Geschäft läuft, aber auch draußen auf dem Parkplatz aus dem Kofferraum heraus Tiere verkauft werden. Solche Zustände werden im Moment noch toleriert, weil eben nicht genug Kontrollen da sind. Das Personal in den Veterinärämtern zu stärken, ist ein entscheidender weiterer Schlüssel. Bei Exoten braucht es zudem die Kompetenz, die exakte Tierart überhaupt zu erkennen.
Ein weiterer Faktor, um unüberlegte Anschaffungen von Tieren über das Internet oder auf Börsen zu unterbinden, ist die Aufklärung der Öffentlichkeit. Wir müssen potenziellen Interessenten und insbesondere Menschen, die meinen, ein exotisches Tier in ihrem Haushalt halten zu müssen, klar machen, welche Verantwortung damit verbunden ist. Die Aufklärung, die Öffentlichkeitsarbeit sollte schon in den Schulen anfangen. Das gilt im Übrigen auch für die Ernährungsfragen. Es ist ein Gesamtkonzept, das politisch mit Maßnahmen nicht nur über die vier Jahre einer Legislatur, sondern darüber hinaus gedacht werden muss.
Weniger Fleisch essen, gilt als ein Lösungsansatz für weniger Tierleid. Pflanzliche Ernährung zu stärken, ist ein Ziel der Farm-to-Fork-Strategie der EU. Was muss die Bundesregierung tun, um das voranzubringen?
Weniger Fleisch essen allein ist es nicht. Auch weniger Produktion tierischer Lebensmittel gehört im Gleichklang dazu. Es hilft uns ja nicht, wenn wir Deutsche weniger Fleisch essen, aber mehr Tiere gehalten werden für den Export. Deswegen braucht es eine neu ausgerichtete Ernährungspolitik, die sich auch mit Exportfragen beschäftigt und nicht neue Märkte erschließt, weil das am Ende auch in den Ländern, in die exportiert wird, Strukturen zerstört. Weil in Afrika, wo die gefrorenen Tierteile aus Europa ankommen, lokale Märkte sich aus Kostengründen und wegen der Warenmenge dann nicht mehr halten können. Abgesehen von den Umweltschäden, die wir mit dem Import von Futtermitteln für die riesigen Tierbestände auslösen. Die Bundesregierung muss begreifen, dass der Slogan „Deutschland ernährt die Welt“ keine Zukunft mehr haben darf. Das gilt auch für Europa. Die Agrarpolitik der vergangenen Jahrzehnte ist mit ursächlich für Dürren, Hunger und auch Ressourcenkriege in der Welt. Es ist wichtig, in Handelsabkommen auch Tierschutzfragen zu integrieren und nicht nur Exportsteigerungen miteinander zu vereinbaren.
Und ordnungsrechtlich sind Bestandsgrößen, z.B. die Tierhaltung an die Fläche zu binden, eine zentrale Voraussetzung für mehr Tier- und mehr Klimaschutz. Bestimmte Stallbausysteme, die derzeit für Massentierhaltungen gebaut werden, gehören verboten. Etwa der einstreulose Warmstall in der Schweinehaltung ohne ausreichend natürliches Licht oder Luft, mit Vollspaltenböden und ohne Auslauf für die Tiere. Statt eines Verbots wird diese Haltungsform nach den Plänen von Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir aber bald innerhalb der staatlichen Tierhaltungskennzeichnung in den Stufen „Stall“ oder „Stall+Platz“ eingruppiert. Das ist eine komplett falsche Botschaft! Aus Tierschutzsicht gehören die beiden untersten Stufen abgeschafft und auch gesellschaftlich ist diese Art der Tierhaltung nicht mehr akzeptiert. Stattdessen aber werden diese Haltungsformen von der Politik beschönigend ausgezeichnet. Das blockiert den Umbau der Landwirtschaft. Es braucht eine umfängliche Strategie und Tierschutzkennzeichnung, die die gesamte Kette abbildet, von der Zucht bis hin zu Transport und Schlachtung, und eine Überprüfung durch tierbezogene Indikatoren einschließt.
Lebendtiertransporte in Drittstaaten, die etwa für die Rinder großes Leid bedeuten, sind auch aus Umwelt- und Klimaschutzgründen und wegen der Gefahr der Krankheitsverbreitung abzulehnen. Wie kann dem Einhalt geboten werden?
Indem national Verbote für den Transport in bestimmte Länder außerhalb Europas ausgesprochen werden. Das haben wir nicht. Wir brauchen eine bundesweit gültige Liste, auf der die Länder draufstehen, bei denen nicht sicher ist, dass außerhalb der europäischen Grenzen europäisches Recht eingehalten wird. Die Bundesländer handhaben die Regelung von Exporten nicht einheitlich, die Landkreise ebenfalls nicht. Außerdem tricksen die Transporteure, indem Tiere erst in ein anderes EU-Land exportiert werden und dann von dort aus in die kritischen Drittländer.
Wenn Sie sich das Leben von Hunden und Katzen, von Rindern, Schweinen und Hühnern in 10 Jahren vorstellen: Wie sieht das aus?
Im besten Fall stehen die Bedürfnisse der Tiere an erster Stelle – und nicht die Wünsche der Haustierhalter und -züchter oder wirtschaftliche Interessen der Agrarbranche. Was ich auf jeden Fall will, ist, dass jedes landwirtschaftlich genutzte Tier Frischluft, natürliches Licht und Auslauf außerhalb eines Stalls hat. Am Ende sage ich, und das ist eine Vision, dürfen wir kein Tier mehr für den menschlichen Nutzen leiden lassen. Das muss eine ethische Grundregel werden. Womöglich dauert das Jahrzehnte. Aber wenn wir jetzt nicht beginnen, auch aus Gründen des Klimaschutzes, Umweltschutzes und angesichts der planetaren Grenzen, dann kriegen wir in zehn, fünfzehn Jahren die Entwicklung nicht mehr gedreht. Ähnlich wie bei der Klimakrise kommt irgendwann der Point of no Return. Die Eurogroup for Animals wird im Sommer eine Strategie beschließen, die das Ziel hat, bis 2030 den Fleischkonsum in Europa bis zu 70 Prozent zu reduzieren. Das ist ehrgeizig, vielleicht auch ein Stück unrealistisch, aber notwendig. Damit verbunden ist die Erkenntnis, dass wir nicht nur über Agrarpolitik und Tierhaltung reden, sondern auch über Ernährungspolitik, und – mit Blick auf die Futtermittelimporte, für die weltweit Wälder gerodet werden – über Klimapolitik.
Das Interview führte Marion Busch.
Der Interviewpartner
Thomas Schröder leitet seit 2011 als Präsident die Geschicke des Deutschen Tierschutzbundes. Zuvor war er als Geschäftsführer des Dachverbandes von mehr als 750 Tierschutzvereine tätig. Seit 2017 ist er zudem Vorsitzender der Stiftung des Deutschen Tierschutzbundes.