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Umstrittene Pflanzenzuchtregeln: Saatgutdiversität gestärkt, Gentechnik dereguliert
EU-News | 02.05.2024
#Biodiversität und Naturschutz #Landwirtschaft und Gentechnik

Umstrittene Pflanzenzuchtregeln: Saatgutdiversität gestärkt, Gentechnik dereguliert

Keimling
© pixabay
Ein junger Keimling, bedeckt mit frischen Tautropfen.

In seiner letzten Sitzung vor der Europawahl hat das Europäische Parlament seine Position zu neuen Züchtungstechniken inklusive der Patentierung von gentechnisch veränderter Pflanzen sowie die Überarbeitung der Saatgutverordnung verabschiedet.

Während die Neugestaltung der Saatgutverordnung positiv aufgenommen wird, kritisieren Umweltverbände die Deregulierung neuer gentechnischer Methoden als Gefährdung des Vorsorgeprinzips.

Novelle der EU-Saatgutverordnung stärkt Biodiversität

Die Überarbeitung der Saatgutverordnung zielt darauf ab, die Vielfalt und Zugänglichkeit von Saatgut zu erhöhen. Dies soll durch Lockerung der Regeln zur Saatgutregistrierung geschehen. Damit ist das Plenum den Empfehlungen des Agrarausschusses gefolgt. Der Trilog wird indes erst nach der Europawahl starten. Damit unterliegt die Verhandlungsposition der Zustimmung des neu gewählten Parlaments, welches noch entscheiden muss, ob es die Position der vorherigen Legislaturperiode beibehalten wird.

Nach dem Willen des aktuellen Parlaments soll es Landwirtinnen und Landwirten erlaubt werden, Pflanzenvermehrungsmaterial in bestimmtem Umfang untereinander auszutauschen. Das maximale Volumen soll die EU-Kommission für jede Art festlegen. An Saatgut und Vermehrungsmaterial aus Drittstaaten will das Parlament die europäischen Produktionsstandards anlegen. Der Erhalt der Saatgutvielfalt soll gestärkt werden, indem bestimmte Vermarktungsvorschriften gelockert werden. Im Hinblick auf forstliches Vermehrungsmaterial unterstützt das Parlament eine engere Kooperation der Mitgliedstaaten, etwa um im Fall von Schadensereignissen Engpässe überbrücken zu können. Einführen wollen die Abgeordneten eine vollständige Rückverfolgbarkeit: Erzeuger sollen verpflichtet werden, vor der Ernte die zuständigen Behörden in Kenntnis zu setzen. Das soll Kontrollen erleichtern.

Chance für kleinere Betriebe und lokale Sorten

Die neue Verordnung soll die Verfügbarkeit von genetisch diverserem Saatgut erhöhen, um die Anpassung an den Klimawandel und die Resilienz von Ökosystemen sicherzustellen. Durch erleichterte Registrierungsprozesse könnten mehr lokal angepasste und diverse Saatgutsorten angebaut werden, was die genetische Vielfalt und die Widerstandsfähigkeit von Pflanzen gegenüber Krankheiten und Klimaveränderungen unterstützt. Dies könnte insbesondere kleinen Betrieben helfen, ihre lokal angepassten Sorten zu vermarkten und zu erhalten, was wiederum zu einer dezentralisierten und vielfältigeren Landwirtschaft beiträgt. Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied im Umweltausschuss begrüßt die Position des EU-Parlaments. Sie habe das „Potential, die Biodiversität bei unseren Kulturpflanzen in Europa voranzubringen“ Und sei außerdem „ein Gewinn und eine gute Basis für die Erhaltungsnetzwerke alter Sorten, die diese unter sehr großem Engagement wiederentdecken, schützen und den Menschen zugänglich machen. Eric Gall, stellvertretender Direktor von IFOAM Organics Europe, ergänzt, dass mit der Novelle nun die Möglichkeit bestehe „dass pflanzengenetische Ressourcen nicht nur in den Händen weniger großer Akteure konzentriert sind“.

 

EU-Parlament stimmt für Deregulierung neuer Züchtungsmethoden

Ebenfalls in seiner letzten Sitzung hat sich das EP für die Deregulierung neuer gentechnischer Methoden  ausgesprochen, indem es neue genomische Techniken (NGT) wie CRISPR/Cas9 für die Pflanzenzüchtung genehmigte. Auch zu diesem Dossier werden Diskussionen mit dem Rat und der Kommission erst nach den Europawahlen am 9. Juni aufgenommen.

Besonders brisant ist, dass bestimmte gentechnisch veränderte Pflanzen von GMO-Regulierungen ausgenommen werden sollen. In seiner Position führt das EP zwei Kategorien von NGT-Pflanzen ein, die im Allgemeinen auf der Einschätzung ihrer genetischen Veränderungen und der daraus resultierenden Merkmale basieren.

NGT-1-Pflanzen werden als solche klassifiziert, deren genetische Änderungen als vergleichbar mit natürlichen oder durch traditionelle Züchtung erzeugten Variationen gelten. Diese Pflanzen enthalten keine fremden Gene und werden oft als „zielgerichtete Mutagenese“ bezeichnet. Sie sollen hinsichtlich der Regulierung mit konventionellen Pflanzen gleichgestellt werden, was sie von strengeren GMO-Regulierungen ausnimmt. NGT-2-Pflanzen hingegen können Veränderungen enthalten, die als unnatürlich oder weniger vorhersehbar gelten, wie das Einfügen fremder Gene. Für sie gelten die üblichen Regularien.

Die Einführung von Technologien wie CRISPR/Cas9, TALENs und ZFNs ermöglicht präzise genetische Modifikationen, die die Pflanzeneigenschaften verbessern können, zum Beispiel Krankheitsresistenz und Nährstoffeffizienz. Während Befürworterinnen und Befürworter auf die landwirtschaftliche Produktivitätssteigerung verweisen, warnen Kritikerinnen und Kritiker vor möglichen negativen Auswirkungen auf Umwelt, Biodiversität und Gesundheit aber auch vor der Dominanz großer Biotechnologieunternehmen.

Umweltverbände: Deregulierung unergräbt das Vorsorgeprinzip

Umweltverbände argumentieren außerdem, dass die Deregulierung das Vorsorgeprinzip der EU untergräbt. Ohne ausreichende Risikoprüfungen könnten unvorhergesehene ökologische Folgen eintreten, einschließlich des Potenzials für einen Rückgang der Pflanzenvielfalt und der Beeinträchtigung natürlicher Ökosysteme.

„Die möglichen Auswirkungen dieser Verfahren auf Lebensmittel und Ökosysteme sind nach aktuellem Forschungsstand nicht absehbar. Daher ist es umso wichtiger, die bestehenden Regelungen aufrecht zu erhalten“, sagt Florian Schöne vom DNR. „Eine verbindliche Risikoprüfung, Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit und damit Wahlfreiheit für Verbraucher*innen und Landwirt*innen müssen sichergestellt werden.“

Das EU-Parlament hat zwar für eine Kennzeichnungspflicht aller NGT-Pflanzen entlang der Wertschöpfungskette und verpflichtende Rückverfolgbarkeit gestimmt, aber die Gleichstellung von NGT-1-Pflanzen mit konventionellen Pflanzen könnte unter anderem zu einer Kreuzkontamination zwischen gentechnisch veränderten und nicht-veränderten Pflanzen führen, was besonders für den ökologischen Landbau problematisch ist. Während die Gentechnik-Industrie hohe Gewinne zu erwarten hätte, würden die „Kosten für Maßnahmen zum Schutz der gentechnikfreien Produktion den Bio-Bauernhöfen und -Unternehmen aufgebürdet“, sagte die Vorstandsvorsitzende vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Tina Andres. Sie warf der Parlamentsmehrheit „Wunschvorstellungen“ vor und warnte vor einer „faktischen Zwangsnutzung von Gentechnik“.

Ebenfalls Wunschdenken sei die Forderungen der Abgeordneten nach einem vollständigen Verbot von Patenten auf NGT-Pflanzen, Pflanzenmaterial und genetische Informationen, so Martin Häusling. Denn die notwendige Änderung des europäischen Patentübereinkommens liege außerhalb der Zuständigkeit der EU. [ks]

 

BÖLW - Pressemitteilung vom 23.04.24: Neue Züchtungstechniken – BÖLW erneuert Kritik

Martin Häusling (MdEP) - Pressemitteilung vom 23.04.2024: Abstimmung zu pflanzlichem Vermehrungsmaterial – Weichenstellung zugunsten der Biodiversität

IFOAM Organics Europe - Pressemitteilung vom 24.04.2024: EU Parliament Advances Organic Plant Breeding with New PRM Legislation Vote

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