Corona-Aufbaupläne: Deutsche Bundesregierung kassiert Kritik
Das Climate Action Network (CAN) Europe hat zahlreiche Maßnahmen in den nationalen Corona-Aufbauplänen bewertet. Umweltorganisationen kritisieren den Plan von Deutschland. Das Europäische Umweltbüro warnt indes vor einem Tunnelblick auf Klimaschutz.
EU Cash Awards und Kritik am deutschen Plan
“And the winner is...” – In den drei Kategorien der guten, schlechten und hässlichen Maßnahmen sind EU-Länder von der Klimaschutzorganisation Climate Action Network (CAN) Europe am Donnerstag ausgezeichnet worden:
So werden die belgische Region Wallonien und Polen in der Kategorie "gute Maßnahmen" dafür ausgezeichnet, dass sie die Aufbau-Gelder für die Renovierung von Sozialwohnungen und öffentlichen Gebäuden sowie für die Verbesserung der Energieeffizienz in Gebäuden verwenden wollen, die oft noch mit Kohle beheizt werden.
Auf der Liste der schlechten Maßnahmen stehen Deutschland, Bulgarien und Frankreich ganz oben, weil sie in ihren Konjunkturprogrammen die Chance auf Energieeffizienz in Gebäuden und Wohnungen verpasst hätten. Ebenso schlecht: Kroatien, Estland und Tschechien für ihren Mangel an Transparenz und die Ausklammerung der Zivilgesellschaft aus den Planungsprozessen.
Als „hässlich“ wurden Projekte und Maßnahmen eingestuft, die die Natur zerstören und die Klimakrise beschleunigen. Zum Beispiel wurden Deutschland und die belgische Region Flandern für die „fossile Betankung des Verkehrssektors“ ausgezeichnet, und zwar für die Subventionierung fossiler Mobilität und die Investition in Hybridbusse.
Ähnlich harsche Kritik am deutschen Aufbau- und Resilienzplan (DARP), dessen finale Version die Bundesregierung diese Woche an die EU-Kommission übermittelte, übten deutsche Umweltorganisationen. So kommentierte NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Es ist eine herbe Enttäuschung, dass die Bundesregierung nicht einmal einen kleinen Teil der EU-Gelder in unser Ökosystem investieren möchte. Und das, obwohl der europäische Rechtsrahmen klare Leitlinien vorgegeben hat und das Umweltministerium gute Vorschläge vorgelegt hat. Besonders enttäuschend: Der NABU und weitere Umweltverbände hatten kaum eine Chance, Stellung zu beziehen. Von einer echten Öffentlichkeitsbeteiligung kann keine Rede sein.“
Die Deutsche Umwelthilfe wies darauf hin, dass die Maßnahmen größtenteils nicht neu, sondern schon im deutschen Konjunkturpaket vom Juni 2020 enthalten seien und über den DARP lediglich refinanziert würden. DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner sagte: „Mit diesem Entwurf verpasst die Bundesregierung eine historische Chance, die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie auf Klimaschutz und Biodiversität hin auszurichten.“
Auch die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch zeigte sich enttäuscht, denn anders als in Portugal, Polen oder Italien soll in Deutschland der Großteil der Mittel in den Straßenverkehr fließen. „Bei Verkehrsinvestitionen ausschließlich auf die Straße zu setzen, bringt uns den Klimaschutzzielen kaum näher. Stattdessen müsste die Verlagerung auf klimafreundliche Verkehrsmittel wie Schiene und Fahrrad im Fokus stehen, wenn die Bundesregierung das neue EU-Klimaziel von minus 55 Prozent bis 2030 ernst nimmt“, betonte Lena Donat, Referentin für klimafreundliche Mobilität bei Germanwatch.
Deutschland soll rund 25 Milliarden Euro aus dem europäischen Wiederaufbaufonds erhalten. 80 Prozent der Maßnahmen im deutschen Aufbau- und Resilienzplan sind jedoch bereits Bestandteil des deutschen Konjunkturprogramms, laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag, und damit keine Mehrausgaben für den Klimaschutz oder die Digitalisierung. Laut dem Green Recovery Tracker des Wuppertal Instituts bringt der deutsche Aufbauplan nur 1 Prozent zusätzliche Maßnahmen für den Klimaschutz.
Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im EU-Parlament, erklärte: „Die Bundesregierung legt einen 'Copy & Paste'-Plan des deutschen Konjunkturprogramms vor. Es grenzt an Täuschung der Öffentlichkeit, wenn Olaf Scholz die vielen Investitionen der Bundesregierung lobt.“
Deutschland, Frankreich, Portugal und weitere EU-Mitgliedstaaten hatten Anfang der Woche ihre endgültigen nationalen Pläne vorgestellt. Am morgigen Freitag endet die Frist für alle EU-Länder, die finale Fassung ihres Aufbau- und Resilienzplans bei der Kommission einzureichen.
Die Pläne sind wichtiger Bestandteil der Aufbau- und Resilienzfazilität (Recovery and Resilience Facility), die die EU-Mitgliedstaaten finanziell unterstützen soll, die negativen wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie zu bewältigen. Nur bei überzeugenden Maßnahmen, die unter anderem Ausgabenziele für Klima- und Biodiversitätsschutz oder das „Do no significant harm“-Prinzip berücksichtigen, sollen die Gelder fließen.
Umweltbüro: nationale Pläne sind zu vage und einseitig
Das Europäische Umweltbüro (EEB) zeigte sich in einem Positionspapier besorgt über die Tatsache, dass die meisten Maßnahmen in den nationalen Aufbauplänen (National Recovery and Resilience Plans - NRRP) vage und nicht darauf ausgelegt seien, den langfristigen Systemwandel herbeizuführen, der so dringend notwendig ist, um die Ziele des Europäischen Green Deal zu erreichen.
Zudem beklagt der europäische Umweltdachverband, dass weder die Zivilgesellschaft und noch die Öffentlichkeit an der Gestaltung der Pläne beteiligt wurden, wie jüngste Untersuchungen gezeigt haben. Dies könne einen Verstoß gegen die rechtlichen Anforderungen der Aarhus-Konvention darstellen, hieß es weiter.
Kritik setzt es auch am engen Fokus auf die grüne und digitale Transformation: Das EEB attestiert einen Tunnelblick auf klimabezogene Maßnahmen. Dies könne dazu führen, dass andere Umweltkrisen vergessen würden. Daher plädiert das EEB für einen ganzheitlichen Ansatz für nachhaltige Entwicklung, damit Investitionen nicht allein die wirtschaftliche Erholung fördern, sondern „die gesamte Bandbreite der ökologischen Herausforderungen angehen und gleichzeitig soziale Gerechtigkeit und Gleichheit sicherstellen“.
CAN Europe: Europeans call for climate-friendly EU budget
Deutsche Umwelthilfe: Deutscher Wiederaufbauplan verpasst Chance für Klimaschutz und Biodiversität
NABU: Corona-Wiederaufbauprogramm der Bundesregierung ist eine echte Enttäuschung
Sven Giegold: Die deutsche Umsetzung des EU-Wiederaufbaufonds: ein schlechtes Beispiel für Europa
Green Recovery Tracker des Wuppertal Instituts
Redakteurin: Ann Wehmeyer
Gerechter Übergang: Milliardenhilfe für öffentlichen Sektor vereinbart
Wie der Rat der EU am Montag mitteilte, haben sich Rat und EU-Parlament vorläufig auf eine neue Darlehensfazilität für den öffentlichen Sektor geeinigt, die den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft in der EU unterstützen soll.
Laut dem Rat soll diese Fazilität Regionen in der EU zugutekommen, die aufgrund ihrer CO2-intensiven Industrien oder ihrer starken Abhängigkeit von Braun- und Steinkohle vor großen Herausforderungen stehen, die europäischen Klimaziele 2030 und 2050 zu erreichen.
Mit der Fazilität sollen nachhaltige Investitionsprojekte unterstützt werden, zum Beispiel in den Bereichen Energie- und Verkehrsinfrastruktur, Fernwärmenetze, Energieeffizienzmaßnahmen und soziale Infrastruktur.
Tätigkeiten, die im Rahmen des Fonds für einen gerechten Übergang nicht förderfähig sind, kommen für die Fazilität nicht in Frage. Dazu gehören Investitionen im Zusammenhang mit Kernkraftwerken, Tabakerzeugnissen und fossilen Brennstoffen, heißt es in einer Pressemitteilung des Rates.
Laut Kompromiss sollen 1,5 Milliarden Euro an Finanzhilfen aus dem EU-Haushalt in Verbindung mit bis zu 10 Milliarden Euro an Darlehen der Europäischen Investitionsbank (EIB) den Regionen zur Verfügung gestellt werden. Parlament und Rat rechnen mit 25 bis 30 Milliarden Euro an Investitionen insgesamt.
Die Darlehensfazilität für den öffentlichen Sektor ist neben dem Fonds für einen gerechten Übergang und Geldern aus dem Investitionsprogramm InvestEU Bestandteil des Mechanismus für einen gerechten Übergang. Diesen hatte die EU-Kommission im Januar 2020 vorgestellt (EU-News vom 16.01.2020).
Der vorläufige Kompromiss der inter-institutionellen Verhandlungen muss noch formal von EU-Parlament und Rat abgesegnet werden. Erst dann kann die Verordnung in Kraft treten.