„Es gibt keinen echten Grünen Deal ohne parallele Wasserstrategie“
Was wäre der europäische Green Deal ohne die Dimension Wasser? Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) setzt sich für einen ergänzenden „Blue Deal” ein. Und dafür, dass die kommende EU-Kommission Wasser zu einer eigenständigen Priorität macht. Wie das konkret aussehen soll, beschreibt der EWSA-Präsident, der dafür auch auf der COP28 in Dubai werben will.
Interview mit Oliver Röpke
Herr Röpke, Sie als Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses haben Ende Oktober eine Erklärung für einen Blauen Deal vorgelegt. Worum geht es dabei?
Wir haben in den letzten Jahren in Europa unter anderem Dürren, Überschwemmungen und verheerende Brände erlebt. Diese Ereignisse, die auf dem ganzen Kontinent auftreten, zeigen die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels und insbesondere der Wasserknappheit.
Deshalb haben wir im EWSA eine Strategie ins Leben gerufen, mit der wir Wasser zu einer politischen Priorität der EU machen wollen. Mehr als ein Jahr haben wir an einem Aufruf für einen europäischen Blauen Deal („Blue Deal“) gearbeitet. Unser Ziel ist, dass die nächste Europäische Kommission Wasser zu einer eigenständigen und unabhängigen Priorität für die kommende Mandatsperiode macht.
Diese Aufforderung wurde Ende Oktober auf unserer Plenartagung in Anwesenheit von Vertretern anderer EU-Institutionen, Interessengruppen, internationaler Organisationen und nichtstaatlicher Organisationen vorgestellt. Gleichzeitig habe ich persönlich eine Erklärung vorgelegt, in der unsere wichtigsten Grundsätze für die Wasserbewirtschaftung in der EU sowie eine Liste von 21 konkreten Maßnahmen zur Bekämpfung der Wasserknappheit formuliert werden.
Wie könnte eine eigene EU-Wasserstrategie nach Ansicht des EWSA konkret aussehen?
Wir haben die Themen Wasserstrategien und Wassermanagement aus vielen Blickwinkeln betrachtet: dem der wasserintensiven Branchen wie der Landwirtschaft, aber auch der Wasserarmut und der „Wasserdiplomatie“. Wir haben sektorspezifische Stellungnahmen erarbeitet, die in den an die anderen EU-Institutionen gerichteten Aufruf für einen europäischen Blauen Deal und in meine politischen Erklärungen eingeflossen sind.
Unser Standpunkt ist recht offen, da es uns darum ging, die Grundlage dafür zu schaffen, dass die Europäische Kommission zusammen mit den nationalen Regierungen und Interessenträgern ein strukturiertes Wasserkonzept, also einen echten europäischen Blauen Deal, entwickeln kann. Drei Aspekte sehe ich allerdings als grundlegend für eine erfolgreiche Strategie an: Politik, Finanzierung und Wissen.
Erstens brauchen wir eine geeignete Politik zur Bekämpfung der Wasserknappheit durch Harmonisierung und Weiterentwicklung der derzeitigen europäischen und nationalen Maßnahmen, die eindeutig unzureichend sind. Dazu gehören beispielsweise die Ernennung eines Kommissionsmitglieds mit Zuständigkeit für Wasser, die Einbeziehung von Wasser in andere wichtige europäische Politikbereiche und Strategien (wie die Gemeinsame Agrarpolitik, die EU-Industriestrategie und den Stabilitäts- und Wachstumspakt) sowie die Entwicklung gemeinsamer Leitlinien für den Zugang zu Wasser- und Sanitärversorgung auf EU-Ebene.
Dann brauchen wir Finanzmittel, flexiblere und leichter zugängliche Verfahren für bestehende Fonds und zusätzliche Mittel. Wir fordern einen Fonds für den blauen Übergang, der als zentrale Anlaufstelle für alle wasserbezogenen Investitionen dienen kann und das derzeitige Finanzierungssystem, das auf verschiedene Instrumente verteilt ist, ersetzt. Und wir müssen die derzeitigen Fonds anpassen, um die nachhaltige Wassernutzung zu einem Kriterium für die finanzielle Förderung von Investitionen und Projekten durch die EU zu machen.
Schließlich müssen wir das vorhandene Wissen und die verfügbaren Daten für die Entwicklung eines Blauen Deals nutzen, zugleich aber auch die Verbraucher in die Lage versetzen, Entscheidungen für eine intelligente Wassernutzung zu treffen. Zu diesem Zweck können wir unsere Datenerhebung und -überwachung verbessern, indem wir bestehende Zentren wie das Europäische Technologieinstitut nutzen, aber auch ein geeignetes Europäisches Wasserzentrum einrichten. Um die Handlungskompetenz der Bürgerinnen und Bürger zu stärken, schlagen wir die Entwicklung spezifischer Sensibilisierungskampagnen und die Einführung eines Gütesiegels für den Wasserverbrauch vor (für den Verbrauch in Privathaushalten, ähnlich der existierenden Energieverbrauchskennzeichnung).
Wir brauchen Wissen, um eine gute Politik zu gestalten, und Geld, um diese Politik in die Tat umzusetzen. Für mich sollte dies die Grundlage des europäischen Blauen Deals sein.
Was sollte ein für Wasser zuständiges Mitglied der Kommission Ihrer Meinung nach tun, um die Wasserkrise zu bewältigen?
Ich bin, wie ich bereits erklärt habe, der Ansicht, dass ein EU-Kommissar für Wasser dafür zuständig sein sollte, aus diesen drei Grundpfeilern eine kohärente und umfassende Wasserstrategie, einen echten Blauen Deal, zu machen. Viele der relevanten Aspekte sind in den Stellungnahmen, die unsere Mitglieder im vergangenen Jahr erarbeitet und vorgestellt haben, ausgeführt.
Ich bin aber auch davon überzeugt, dass ein Kommissar für den Blauen Deal wichtig wäre, um sicherzustellen, dass der Blaue Deal und der Grüne Deal miteinander verzahnt werden, auch unter Berücksichtigung der UN-Nachhaltigkeitsziele. Es gibt keinen echten Grünen Deal ohne eine parallele Wasserstrategie, und es ist höchste Zeit, dass dies in der europäischen Klimastrategie berücksichtigt wird.
Wir haben gesehen, dass Wasser- und Umweltpolitik im Widerspruch stehen können, wenn sie nicht gleichzeitig angegangen werden. Wenn beispielsweise ein Unternehmen beschließt, durch die Einführung von Wasserstoff die CO2-Emissionen zu senken, steigt sein Wasserverbrauch. Die Einführung wassereffizienter Technologien kann den Energieverbrauch eines Unternehmens erhöhen, wenn die Technologien nicht sowohl wasser- als auch energieeffizient sind.
Wir sind der Ansicht, dass der Blaue Deal aufgrund der Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht einfach nur Teil des Grünen Deals sein kann. Der Blaue Deal muss eine eigenständige, dem Grünen Deal gleichberechtige Priorität der EU sein. Es muss sichergestellt sein, dass beide Dimensionen gleichbehandelt werden – und deshalb sollte in der Kommission, die sich für die Verwirklichung unserer Klimaziele einsetzt, für jede Strategie ein zuständiges Kommissionsmitglied benannt werden.
Der EWSA ist „nur“ eine beratende Einrichtung. Gab es schon Reaktionen aus dem politischen Spektrum der EU? Und wie wollen Sie den Blauen Deal weiterverfolgen?
Ich bin sehr stolz darauf, dass unser Aufruf schon vor seiner offiziellen Präsentation außerhalb unseres Ausschusses gehört wurde, und ich habe den Eindruck, dass es eine politische Dynamik gibt, Wasser in der nächsten Mandatsperiode der Institutionen zur Priorität zu machen.
Ende September haben wir in einem vom EWSA und 36 MdEP unterzeichneten gemeinsamen offenen Brief die Staats- und Regierungschefs der EU aufgefordert, eine ehrgeizige Strategie für den europäischen Blauen Deal zu unterstützen. Das Europäische Parlament war auch bei der Verabschiedung und bei der Auftaktveranstaltung unseres Aufrufs vertreten, und wie ich bereits erwähnt habe, wurden wir von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen und UN-Fachgremien unterstützt.
Außerdem habe ich Anfang September ein Schreiben an Kommissionspräsidentin von der Leyen gerichtet, mit der Bitte, die Wasserpolitik in den kommenden Jahren ganz oben auf die Agenda der Kommission zu setzen. Ich freue mich sehr, dass wasserpolitische Initiativen in der Absichtserklärung erwähnt wurden, die die Kommission kurz darauf veröffentlicht hat. Die angekündigte Initiative zur Resilienz der Wasserversorgung ist in der Tat ein Schritt in die richtige Richtung, und der EWSA ist als Vertreter der Zivilgesellschaft der EU bereit, mit der Europäischen Kommission zusammenzuarbeiten, um einen echten europäischen Blauen Deal ins Leben zu rufen.
Das Interesse an dieser Initiative war bemerkenswert, und wir planen bereits Folgemaßnahmen mit anderen EU-Institutionen und Mitgliedstaaten für die nächsten Monate. Ich werde auch an den Tagen, an denen es um das Thema Wasser gehen wird, an der Weltklimakonferenz in Dubai teilnehmen und dort unseren Standpunkt bekräftigen und die Rolle des EWSA als Vorreiter in diesem Bereich herausstellen.
[Interview: Juliane Grüning]
EWSA-Aufruf: Declaration for an EU Blue Deal
Der Interviewpartner
Der Österreicher Oliver Röpke ist Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA). Das Mandat läuft bis 2025. Röpke war zuvor Präsident der Arbeitnehmergruppe im EWSA, davor leitete er das Europabüro des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) in Brüssel.
Der EWSA
Der 1957 gegründete EWSA ist eine beratende Einrichtung der EU und setzt sich aus Vertretern von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen und anderen Interessenvertretern zusammen. Er legt dem Rat der Europäischen Union, der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament Stellungnahmen zu EU-Themen vor und bildet so eine Brücke zwischen den Entscheidungsorganen der EU und ihren Bürgerinnen und Bürgern.