EU-Parlament: Renaturierungsgesetz lebt, EVP-Blockade gescheitert
Showdown im EU-Parlament: Im Plenum stimmt die Mehrheit der Abgeordneten für die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur. Trotz starker Abschwächungen sehen Umweltverbände einen Etappensieg für die europäische Naturschutzgesetzgebung.
Bis zuletzt war der Ausgang ungewiss: Das Europäische Parlament hat am 12. Juli in Straßburg zum Vorschlag für die künftige Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, NRL) abgestimmt. Im Vorfeld hatten Agrar-, Fischerei-, und sogar der federführende Umweltausschuss den Vorschlag zurückgewiesen. Die Abstimmung im Umweltausschuss am 27. Juni fiel bereits denkbar knapp aus. Die Positionierung der Abgeordneten im Plenum erfolgte nach Wochen der Auseinandersetzung: mit massivem Gegenwind durch die Europäische Volkspartei (EVP) einerseits und einer breiten Unterstützung des Verordnungsvorschlags durch über eine Million Bürger*innen, zahlreichen Umweltorganisationen, tausenden Wissenschaftler*innen sowie einer Vielzahl von Wirtschaftsunternehmen andererseits. Selten zuvor wurde daher eine Parlamentssitzung mit so viel Spannung erwartet.
Zustimmung nach Zitterpartie – Rechtskonservatives Lager scheitert
Mit 336 Ja-Stimmen, 300 Gegenstimmen und 13 Enthaltungen hat das Parlament nach einem Abstimmungsmarathon für das EU-Renaturierungsgesetz gestimmt. Damit konnte das Parlament eine Position für Verhandlungen mit dem Rat und der EU-Kommission im sogenannten Trilog festlegen. Zuvor wurde die grundlegende Zurückweisung des Vorschlags, initiiert von der EVP, mit 324 gegen 312 Stimmen bei 12 Enthaltungen abgelehnt.
Die Befürworter*innen der Wiederherstellungsverordnung feierten dies bereits als klare Absage an den Versuch der EVP, das Vorhaben zu stoppen und werteten dies als Niederlage für EVP-Fraktionschef Manfred Weber von der CSU, der nicht davor scheute in einem rechts-konservativen Bündnis gemeinsam mit Rechtspopulisten und Rechtsextremen zu stimmen. Aus den Reihen der EVP-Fraktion gab es schließlich 15 Abgeordnete, die der grundsätzlichen Zurückweisung der Verordnung nicht zustimmten und damit vom Fraktionskurs abwichen. Somit verfehlte das Lager aus konservativer EVP, rechtskonservativen Europäischen Konservativen und Reformer (ECR), rechtsextremer Identität und Demokratie (ID), zu der auch die Alternative für Deutschland (AfD) zählt, sowie Teilen der liberalen Renew-Fraktion, die Mehrheit für die Ablehnung des Renaturierungsgesetzes.
Abschwächungen: Agrarökosysteme, Moore und Klagerechte gestrichen
Nachdem die grundsätzliche Ablehnung verhindert wurde, kam es zur Abstimmung von zahlreichen Änderungsanträgen, die zu einigen Abschwächungen der Parlamentsposition gegenüber dem vorgeschlagenen Gesetzestext der Kommission, führten. In der nun verabschiedeten Position des EU-Parlaments wurde Artikel 9, zur Wiederherstellung geschädigter Agrarökosysteme, gänzlich gestrichen. Darin enthalten waren Verpflichtungen zur Verbesserung des Zustands der biologischen Vielfalt in Agrarlandschaften, etwa von Agrarvögeln und Tagfaltern, des Bodenkohlenstoffs in Ackerböden und des Anteils an Strukturelementen in der Landschaft. Ebenfalls gestrichen wurden mit Artikel 9 die Ziele zur Wiedervernässung entwässerter Moore: eine der zentralen Maßnahmen zur Vermeidung von Emissionen aus der Landnutzung.
Preisgegeben wurde auch der Artikel 16, welcher den Zugang zur juristischen Überprüfung und Klagemöglichkeiten zu den geplanten Wiederherstellungsplänen ermöglichen sollte. Regelungen zur Wiederherstellung mariner Habitate wurden zudem abgeschwächt und Indikatoren zur Zustandsverbesserung von Waldökosystemen, wie Waldvernetzung, Altersstruktur und Totholzanteil, getilgt. Bestimmte Renaturierungsmaßnahmen wurden zudem auf Natura 2000-Gebiete begrenzt. Auch das Verschlechtergungsverbot wurde gestrichen. Der durch die Änderungsanträge verwässerte Verordnungstext wurde schließlich mit der Mehrheit von 336 Stimmen angenommen.
Umwelt-NGOs: „Etappensieg“ und „historischer Erfolg“
Trotz der Abschwächungen betonten Umweltorganisationen die historische Bedeutung der Verordnung zur Wiederherstellung der Natur und begrüßten, dass die Blockade der EVP verhindert werden konnte. „Vernunft und Weitsicht“ hätten gegenüber „unlauteren Polemiken konservativer Kreise“ gesiegt, so DNR-Geschäftsführer Florian Schöne. „Resiliente Wälder, lebendige Auen, nasse Moore und artenreiche Agrarlandschaften“ seien nicht nur entscheidend für die Biodiversität, sondern auch „unsere überlebensnotwendige Versicherung gegen zukünftige Schäden durch Trockenheit, Dürre und Überschwemmungen“, so Schöne weiter. Er bedauere, dass die Vorgaben für Agrarflächen und Moore in der Parlamentsposition abgeschwächt wurden.
NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger betonte, dass die Verabschiedung des Verordnungsvorschlags „historisch“ sei und sich „Verantwortungsbewusstsein für künftige Generationen […] gegen Angstmache und Populismus“ durchgesetzt habe. Auch BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock nennt das Ergebnis einen „Etappensieg“ für den europäischen Naturschutz, sieht den Erfolg jedoch getrübt, da „das Parlament für eine massive Verwässerung des Vorschlages der EU-Kommission gestimmt hat“. Ähnlich reagierten die europäischen Umweltverbände in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom Europäischen Umweltbüro (EEB), WWF, ClientEarth und Birdlife Europe.
Breite Unterstützung bis zur letzten Minute
Am Tag vor der Abstimmung demonstrierten noch zahlreiche Umweltorganisationen vor dem Parlamentsgebäude in Straßburg für ein starkes EU-Renaturierungsgesetz. Unter den Aktivist*innen befand sich unter anderem Greta Thunberg. Bis zur Abstimmung unterstützten zudem über eine Million Menschen die #RestoreNature-Kampagne. Darüber hinaus unterzeichneten über 6000 Wissenschaftler*innen einen offenen Brief, der die Dringlichkeit des Vorhabens bekräftigte und Falschdarstellungen seitens der EVP widerlegte. Auch ein Bündnis aus mehr als 80 führenden Unternehmen hatte sich zuletzt für die Verordnung stark gemacht.
Nächster Schritt: Trilog
Durch die nun verabschiedete Parlamentsposition können Rat, Kommission und Parlament in die Trilog-Verhandlungen gehen. Der Rat hatte seine Position bereits am 20. Juni festgelegt. Schon kommende Woche soll ein erstes Trilog-Treffen in Brüssel stattfinden. Für den Herbst werden dann die inhaltlichen Diskussionen erwartet. [bp]
Verabschiedeter Verordnungstext des EU-Parlaments
NABU-Blog-Beitrag: Nach dramatischem Ringen: Sieg über Populismus