EU-Renaturierungsgesetz: Umweltrat dafür, Umweltausschuss dagegen
Die Umweltminister*innen der EU-Mitgliedstaaten haben für eine abgeschwächte Natur-Wiederherstellungsverordnung gestimmt. Keine Mehrheit fand sich im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments. Alle Blicke richten sich nun auf die Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments.
Die Hängepartie um die europäische Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, NRL) geht in die nächste Runde. Auf dem Treffen des Umweltrats am 20. Juni in Luxemburg konnten sich die Minister*innen der Mitgliedstaaten auf eine Position verständigen. Mit der Einigung kann der Rat in die Trilog-Verhandlungen mit EU-Kommission und dem Europäischen Parlament einsteigen. Auf der Sitzung nahmen die Umweltminister*innen den Kompromissvorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft, mit der notwendigen qualifizierten Mehrheit, an. Polen, Niederlande, Finnland, Italien und Schweden stimmten dagegen. Österreich und Belgien enthielten sich. Alle anderen Mitgliedstaaten sprachen sich für das EU-Renaturierungsgesetz aus.
Rat: Kompromissvorschlag mehrheitlich angenommen
In der nun abgestimmten allgemeinen Ausrichtung werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, bis 2030 Maßnahmen zur Wiederherstellung von mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen festzulegen, bis 2050 für alle sanierungsbedürftigen Ökosysteme. In mindestens 30 Prozent der Lebensräume in Land-, Küsten-, Süßwasser- und Meeresökosystemen, die sich in keinem guten Zustand befinden, muss sich der Zustand bis 2030 verbessern. Außerdem sollen die Mitgliedstaaten bis 2040 für mindestens 60 Prozent und bis 2050 für mindestens 90 Prozent der Fläche jeder „Habitatgruppe“, die sich nicht in gutem Zustand befindet, Wiederherstellungsmaßnahmen festlegen. Für die Umsetzung sind von den Mitgliedstaaten nationale Renaturierungspläne zu erstellen. Hier hat sich der Rat für einen schrittweisen Ansatz entschieden: Zunächst sind Renaturierungspläne für den Zeitraum bis 2032 vorzulegen, danach zeitlich abgestuft für die Perioden bis 2042 und bis 2050.
Ausnahmen und Schlupflöcher - Moorziele geschwächt
Im Vorfeld wurde der ursprüngliche Text der Verordnung noch deutlich abgeschwächt. Für bestimmte Lebensräume wie Meeresgebiete mit „weichen Sedimenthabitaten“ wurden Ausnahmen und „Flexibilitäten“ eingeräumt. Auch für das „überragende öffentliche Interesse“ des Ausbaus von erneuerbaren Energien und für Areale zur „nationalen Verteidigung“ soll es Ausnahmen geben. Darüber hinaus wurden die Ziele für ein zentrales Vorhaben, die Wiedervernässung entwässerter Moore, verringert: Auf 30 Prozent der Moorflächen sollen bis 2030 Wiederherstellungsmaßnahmen durchgeführt werden, wovon bis dahin mindestens ein Viertel wiedervernässt sein sollen. Der neue Text sieht nun bis 2040 eine Reduzierung der Maßnahmenfläche von 50 auf 40 Prozent und für 2050 eine Reduzierung von 70 auf 50 Prozent vor. Außerdem kann der Umfang der Moor-Wiedervernässungen bei „erheblichen negative Auswirkungen auf Infrastrukturen, Gebäude, Klimaanpassung oder andere öffentliche Interessen“ eingeschränkt werden, was große Spielräume eröffnet.
NGOs: Aufatmen nach Votum des Umweltrats
Trotz der Abschwächungen begrüßten Umweltorganisationen die Positionierung des Umweltrats zu Gunsten des EU-Renaturierungsgesetzes. Sofie Ruysschaert, Referentin für Renaturierung bei Bird Life Europe, sprach von einem „kollektivem Aufatmen der Europäer*innen“ nach dem Votum des Umweltrats. Und Tobias Arbinger, WWF-Referent für Naturschutzpolitik, erkannte im Ratsergebnis weiterhin den „Wille[n] der Mitgliedstaaten, die Natur in Europa wiederherzustellen“ und ein deutliches Signal vom EU-Ministerrat an die Mitglieder des Europäischen Parlaments.
Patt im Umweltausschuss des Parlaments
Doch allen Appellen an die Abgeordneten des EU-Parlaments zum Trotz: Bei der Abstimmung im Umweltausschuss (ENVI Commitee) am 27. Juni fand sich keine Mehrheit für die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur. Mit einem denkbar knappen Abstimmungsverhältnis von 44 zu 44 Stimmen lehnten die Mitglieder des Ausschusses den Vorschlag in geänderter Fassung ab. Damit wiederholte sich das Stimmenverhältnis der fortgesetzten Sitzung vom 15. Juni, diesmal jedoch zu Ungunsten des Renaturierungsgesetzes. Denn bei Stimmengleichstand gilt der Beschluss als abgelehnt. Demnach konnte der Umweltausschuss keine Verhandlungsposition zum NRL festlegen.
DNR: Desaströser Tag für den Naturschutz
In der Ablehnung durch den Umweltausschuss sieht Florian Schöne, Geschäftsführer des Deutschen Naturschutzrings (DNR), ein fatales Zeichen und kommentiert: „Mit diesem verantwortungslosen Verhalten sprechen sich die Abgeordneten vor allem der EVP-Fraktion nicht nur gegen eine Stärkung unserer natürlichen Lebensgrundlagen aus, sondern sie schwächen damit auch die langfristige Existenzgrundlage der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft.“ Und Sergiy Moroz, Referent für Wasser und Biodiversität des Europäischen Umweltbüros (EEB), ergänzt: „Die anhaltende Weigerung der konservativen Mitglieder des Parlaments, das zu tun, wofür sie gewählt wurden, nämlich starke Gesetze zur Bewältigung der Biodiversitäts- und Klimakrise zu verabschieden, ist gelinde gesagt, enttäuschend.“
Letzte Chance: Plenum des EU-Parlaments
Nachdem sich nun Agrar-, Fischerei-, und Umweltausschuss, maßgeblich beeinflusst von den Mehrheiten der Konservativen, gegen das NRL positioniert haben, richtet sich der Blick auf die Abstimmung im Plenum des Europaparlaments in der Woche vom 10. bis 13. Juli. In Straßburg findet die finale Positionierung des EU-Parlaments statt. Übersteht das NRL dort zunächst den Vorschlag des Umweltausschusses zur Ablehnung, können weitere Änderungsanträge eingereicht und ein endgültiger Standpunkt des EU-Parlaments festgelegt werden. Ist dies der Fall, könnten nach der Sommerpause die Trilog-Verhandlungen beginnen. [bp]
Text: Allgemeine Ausrichtung des Umweltrats
Pressemitteilung Bird Life Europe (mit EEB, Client Earth, WWF)