Europa, deine (Beton-)Flüsse!
Fragt man die Limnologie, so ist die Durchlässigkeit von Fließgewässern für die Gesundheit der Ökosysteme unerlässlich. Doch leider sieht die Realität anders aus: Rund eine Million Barrieren hindern Europas Flüsse und Bäche am freien Fließen. Das hat das EU-Projekt Adaptives Management of Barriers in European Rivers (AMBER) herausgefunden. Der WWF findet das Ausmaß der Flussfragmentierung alarmierend, Europa sei "verstopft".
AMBER hat einen paneuropäischen Atlas der Fließgewässerbarrieren erstellt und bei der Kartierung der 630.000 bekannten Standorte und der Begehung von bisher 2.700 Flusskilometern in 28 Ländern herausgefunden, dass mehr als ein Drittel der tatsächlich vorhandenen Dämme, Wehre, Furten und anderer Verbauungen offiziell gar nicht erfasst sind. Der Professor für Aquatische Biowissenschaften an der Swansea University und AMBER-Projektkoordinator Carlos Garcia de Leaniz: "Selbst Gebiete, die als relativ unberührt und gut vernetzt galten, sind tatsächlich mit Barrieren bebaut. Auf dem Balkan beispielsweise zeigt unsere Feldvalidierung, dass 80 Prozent der Barrieren in den aktuellen Erfassungen nicht auftauchen, was die Fragmentierung dieser Flüsse viel schlimmer macht, als bisher gedacht." Insgesamt seien rund eine Million Barrieren in Flüssen und Bächen Europas verteilt.
Nicht nur die großen Dämme haben negative Auswirkungen, auch die viel größere Anzahl kleinerer Bauwerke - etwa 85 Prozent aller erfassten Barrieren - stören die Durchlässigkeit, blockieren Fischwanderungsrouten, stauen Sedimente an und verhindern damit auch den wirksamen Schutz der Deltas und Ufer. Dabei würden viele der gefundenen Bauwerke gar nicht mehr gebraucht. Ein Drittel aller Süßwasserfischarten seien vom Aussterben bedroht, für die Gesundheit der Flüsse müssten dringend Maßnahmen ergriffen werden, fordert der WWF. Über 60 Prozent der EU-Gewässer sind in keinem guten Zustand.
Auf EU-Ebene gäben zwei Gesetzesvorstöße Anlass zur Hoffnung: Die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), deren "Unantastbarkeit" letzte Woche von EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius bestätigt wurde (EU-News 23.06.2020), und der Vorschlag der EU-Kommission, im Rahmen der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 25.000 Flusskilometer zu renaturieren (EU-News 20.05.2020). Doch die besten Instrumente und Politikmaßnahmen nutzen nichts, wenn sie in der Praxis nicht umgesetzt werden. "Die EU-Mitgliedstaaten müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um sicherzustellen, dass die WRRL nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis funktioniert", so der WWF. In der nächsten Runde der Bewirtschaftungspläne für Flusseinzugsgebiete für den Zeitraum 2021-2027 - das sind die Pläne, die die Mitgliedstaaten im Rahmen der WRRL vorlegen müssen - sollte eine drastische Verstärkung des Dammabbaus und des Barrieremanagements eingeplant werden, forderte die Organisation.
Donautag: 7.000 Störe erfolgreich ausgesetzt
Anlässlich des Donautags 2020 sind am Montag über 7.000 Beluga-Störe in die Donau entlassen worden. Hunderte von Menschen in ganz Europa hatten eine Crowdfunding-Aktion des WWF Bulgarien unterstützt. Die bisher 10 bis 15 Zentimeter langen und drei Monate alten Fischkinder können bis zu 4,5 Meter lang und 1.000 Kilogramm schwer werden. Die Auswilderungsaktion folgt mehreren anderen in den letzten Jahren, die in Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Österreich stattfanden. Damit soll einer der berühmtesten und am stärksten gefährdeten Fische der Welt gerettet werden. Die entlassenen Störe sind genetisch getestet und für weitere wissenschaftliche Beobachtungen markiert worden. Augenzeugen sprachen von einer "außergewöhnlichen Erfahrung" beim Anblick der entschwimmenden Fische. Auch diese Exemplare benötigen frei durchgängie Flüsse. [jg]
AMBER-Projekt: Pan-European Atlas of In-Stream Barriers