Vor erneuter Glyphosat-Zulassungsprüfung: Mitgliedstaaten sehen kein Krebsrisiko
Ein Gremium aus vier EU-Mitgliedstaaten empfahl den zuständigen EU-Behörden in dieser Woche, das Pflanzenschutzmittel Glyphosat weiterhin nicht als krebserregend einzustufen. Neue wissenschaftliche Daten wollen sie für die anstehende Zulassungsprüfung nicht zurate ziehen. Umweltschützer*innen warnen vor dramatischen Auswirkungen.
Am Dienstag schickte die „Bewertungsgruppe Glyphosat“, die aus Behördenvertreter*innen Schwedens, Ungarns, der Niederlande und Frankreichs besteht, ihre Risikobewertung an die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) und die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Nach Analyse der Daten von Herstellern, die eine erneute Genehmigung von Glyphosat über 2022 hinaus beantragen, komme die Gruppe zu dem Schluss, dass die bisherige Risikoeinstufung nicht überarbeitet werden müsse. Derzeit gilt Glyphosat in der EU als schwer augenschädigend und giftig für Wasserorganismen mit langfristiger Wirkung. Anders als die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht die Bewertungsgruppe demnach keine Anhaltspunkte für eine krebserregende Wirkung. Die IARC war 2015 auf Grundlage der verfügbaren wissenschaftlichen Studien zu dem Schluss gekommen, dass Glyphosat „wahrscheinlich karzinogen für Menschen“ ist.
Die europäischen Behörden kündigten an, die Ergebnisse zu prüfen und ab September im Rahmen von Konsultationen öffentliches Feedback zur Zulassungsprüfung von Glyphosat zu sammeln. Die ECHA wird die gefährlichen Eigenschaften von Glyphosat anhand der EU-Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung (CLP) bewerten. Die EFSA untersucht auch das Expositionsrisiko. Ende 2022 sollen die Schlussfolgerungen der Risikobewertung vorliegen. Auf dieser Grundlage wird die EU-Kommission vorschlagen, ob die am 15.12.2022 auslaufende Zulassung von Glyphosat verlängert werden soll. Anschließend müssen die Mitgliedstaaten über den Vorschlag abstimmen.
Für Angeliki Lyssimachou, Referentin für Wissenschaftspolitik bei der Health and Environment Alliance (HEAL) stellt die Ankündigung der Bewertungsgruppe „einen großen Rückschritt“ dar. Sie werfe „Fragen über die Objektivität und Unabhängigkeit der europäischen Sicherheitsbewertungen von Pestiziden auf“, so Lyssichamou. Für den weiteren Bewertungsprozess sei es wichtig, unabhängige Studien einzubeziehen und „alle Industriestudien auf mögliche wissenschaftliche Verfehlungen zu überprüfen", forderte Lyssimachou die EHCA und die EFSA auf.
Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker bei der Organisation GLOBAL 2000, bezeichnete die Bewertung der vier Mitgliedstaaten als „unfassbar verantwortungslos und fahrlässig“. Die Hersteller von Glyphosat hätten in den letzten Jahren keine Studien vorlegen können, die bestätigten, dass das Mittel nicht krebserregend für den Menschen sei. „Das ist absurd und wird das Vertrauen der EuropäerInnen in ihre Behörden nicht stärken“, so Burtscher-Schaden.
2017 hatten die Mitgliedstaaten sich trotz erheblicher Proteste aus der Öffentlichkeit und des EU-Parlaments für eine weitere fünfjährige Genehmigung ausgesprochen (siehe EU-News vom 28.11.2017). Umwelt- und Gesundheitsorganisationen und die Abgeordneten des EU-Parlaments hatten die Auswahl der berücksichtigen Studien in der Risikobewertung kritisiert. Daraufhin richtete das EU-Parlament einen Untersuchungsausschuss zum Zulassungsprozess ein (siehe EU-News vom 08.02.2018).
Am 28. Juni stellt HEAL gemeinsam mit dem Ramazzini-Institut mit der „Global Glyphosate Study“ die ersten Ergebnisse der bisher „größten und umfassendsten toxikologischen Studie“ zu den Auswirkungen von Glyphosat vor.
Das EU-Parlament hatte in seiner Entschließung zur EU-Biodiversitätsstrategie letzte Woche gefordert, die Glyphosat-Genehmigung Ende 2022 auslaufen zu lassen und nicht mehr zu verlängern (EU-News 09.06.2021). [km]
Bewertung des IARC der WHO von 2015
Erhöhtes Risiko durch Pestizidgemische
In einer Studie des Helmholtzzentrums für Umweltforschung (UFZ) und der RWTH Aachen im Auftrag des Umweltbundesamtes untersuchten Wissenschaftler*innen das Risiko von Pestizidgemischen. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Effekte von aufeinanderfolgenden Pestizidanwendungen und Mischungen bei der Risikoprüfung solcher Stoffe berücksichtigt werden müssen.