Wissenschaft kritisiert Rückschritte, Unternehmen wollen Renaturierung
In einem offenen Brief äußern sich Wissenschaftler*innen besorgt über die umweltpolitische Kehrtwende der EU. Zahlreiche Entscheidungen gefährdeten den europäischen Green Deal. Das EU-Renaturierungsgesetz bekommt derweil neuen Rückenwind aus der Wirtschaft.
In einem am 29. Mai veröffentlichten offenen Brief bringen zahlreiche wissenschaftliche Institutionen ihre Besorgnis über Rückschritte in der EU-Umweltpolitik zum Ausdruck. Die europäischen Wissenschaftsverbände sehen in mehreren aktuellen Entscheidungen der EU-Gesetzgeber die Gefahr, dass sie die Umweltambitionen der Europäischen Union ausbremsen, internationale Verpflichtungen ignorieren und damit „die Zukunft der EU-Bürger*innen riskieren“ – auch die Zukunft der Landwirtschaft selbst, welche die EU-Gesetzgeber zu unterstützen vorgeben würden. Zu den unterzeichnenden Netzwerken und Verbänden zählen unter anderem die europäische Sektion der Society for Conservation Biology (SCB), die Gesellschaft für Ökologie (GfÖ), die Society for Ecological Restoration (SER), die Scientists for Future, die europäische Ecological Federation (EEF) und die International Mire Conservation Group (IMCG). Bereits am 13. Mai hatten über 140 Umweltorganisationen, darunter das Europäische Umweltbüro (EEB), Greenpeace, die Deutsche Umwelthilfe (DUH), NABU, BUND und der WWF ein gemeinsames Statement veröffentlicht, in dem die Angriffe auf die europäische Umweltgesetzgebung scharf zurückgewiesen wurden.
Leerstellen, Abschwächungen und Blockade
Im Detail kritisieren die Wissenschaftler*innen die Ablehnung der Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden (Sustainable Use Regulation, SUR), die Aufweichung grundlegender Umweltstandards in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), den aktuellen Vorstoß zur Lockerung der Vorgaben in der Nitratrichtlinie sowie die Entscheidung der Kommission, den Rahmen für nachhaltige Ernährungssysteme (Sustainable Food Systems Law, FSFS) gar nicht erst vorzulegen. Auch die Blockade des - im Trilog bereits geeinten - EU-Renaturierungsgesetzes (Nature Restoration Law, NRL) wird klar verurteilt. Die wissenschaftlichen Gemeinschaften betonen, dass die entsprechenden Entscheidungen schlecht begründet seien, sie die tatsächlichen Herausforderungen nicht lösen würden und gleichzeitig wesentliche wissenschaftliche Befunde ignorierten.
Rollback überwinden
In dem offenen Brief heißt es zudem, dass diese Prozesse exemplarisch für einen „allgemeinen Geist des Rückschritts“ bei umweltpolitischen Regelungen stünden, von denen einige Gesetzgebungen die Ergebnisse „jahrelanger Bemühungen“ seien, die von Wissenschaft und Gesellschaft stark unterstützt wurden. Der umweltfeindliche Trend unter EU-Entscheidungsträger*innen sei zudem besorgniserregend. Viele der Begründungen für die Entscheidungen basierten auf Fehlinformation, seien stark von wirtschaftlichen Interessen beeinflusst und stünden teils im Widerspruch zu den selbstgesteckten Zielen der EU. Die Wissenschaftler*innen appellieren daher an die EU-Politiker*innen, nach der Europawahl zu einer ambitionierten Umweltagenda zurückzukehren, sich in der Entscheidungsfindung nicht von Fehlinformationen leiten zu lassen, die Abschwächungen in der GAP zurückzunehmen und weitere Verwässerungen der Umweltgesetzgebung zu verhindern sowie das EU-Renaturierungsgesetz final auf den Weg zu bringen.
Rückenwind aus der Wirtschaft für Renaturierung
Dass es überaus breite Unterstützung für die Verabschiedung des EU-Renaturierungsgesetzes (NRL) gibt, zeigte erneut auch eine Allianz von Unternehmen, die sich in einem offenen Brief an die belgische Ratspräsidentschaft gewandt haben. In dem ebenfalls am 29. Mai veröffentlichten Brief an den belgischen Premier Alexander de Croo und den Brüsseler Umweltminister Alain Maron betonten die Konzerne und Wirtschaftsverbände die Dringlichkeit der finalen Annahme der Wiederherstellungsverordnung. Zu den unterstützenden Unternehmen zählen Marktgrößen aus der Lebensmittel-, Bekleidungs- und Energiebranche. Durch das NRL und Investitionen in die Wiederherstellung der Natur könne „langfristige Nachhaltigkeit und Lebensfähigkeit unserer Gesellschaft und Wirtschaft“ gewährleistet werden. Die Verordnung sei eine „Chance für eine ganze Generation“, heißt es in dem Schreiben. Die zahlreichen Unternehmen fordern die belgische Ratspräsidentschaft daher auf, „die dringende Verabschiedung des EU-Renaturierungsgesetzes sicherzustellen, wie es von den Mitgesetzgebern im November 2023 vereinbart und vom Europäischen Parlament im Februar 2024 angenommen wurde“. Der Blick richtet sich nun also umso mehr auf die Sitzung des Umweltrats am 17. Juni, auf der sich entscheiden könnte, ob das Renaturierungsgesetz angenommen wird. [bp]
Meldung der Society for Conservation Biology
Offener Brief aus der Wissenschaft