Europäische Debatten um Wälder und Renaturierung
Ausklammern von Kautschuk aus Anti-Entwaldungsplänen löst Proteste der Waldschutzorganisation FERN aus. Und ein Briefing, wie es besser geht. Euractiv-Debatte zeigt Kluft bei EU-Waldstrategie. Wissenschaftsbündnis fordert eine starke EU-Gesetzgebung bei Naturwiederherstellung.
FERN kritisiert EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten ohne Kautschuk
Die Europäische Kommission bereitet derzeit neue Rechtsvorschriften zur Verringerung der Einfuhr von Produkten vor, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung gebracht werden. Doch Zivilgesellschaft und indigene Völker zeigten sich nach dem Durchsickern eines Entwurfs zur Folgenabschätzung eines solchen Gesetzes (EU-News 16.09.2021) äußerst besorgt darüber, dass Kautschuk von der Liste der Waldprodukte gestrichen werden könnte.
Kautschuk sei ein Rohstoff von globaler Bedeutung, der erhebliche Auswirkungen auf die Wälder und den Verlust der biologischen Vielfalt, Landraub und Menschenrechtsverletzungen habe und für alles von Reifen über Matratzen bis hin zu medizinischen Geräten und Kleidung verwendet werde, so die Waldschutzorganisation FERN.
Ein Viertel der weltweiten Kautschukproduktion gehe in die EU, vor allem nach Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien. Von den sechs größten globalen Reifenherstellern hätten drei ihren Sitz in der EU. "Kautschuk gehört zu den kritischen Rohstoffen der EU" und während der Pandemie sei sowohl die Nachfrage als auch der Preis für Kautschuk gestiegen. Es sei in den kommenden Jahren mit einer neuen Welle von Abholzung und Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit Kautschuk zu rechnen, warnte FERN. Die EU scheint ihre frühere Erkenntnis, dass Kautschuk die Entwaldung vorantreibt, trotz ihrer Verpflichtungen im Rahmen des Green Deals aus wirtschaftlichen Gründen rückgängig machen zu wollen, vermutet die Organisation. Dabei würde die Aufnahme von Kautschuk in das neue Gesetz "den Kautschuksektor dazu zwingen, endlich Verantwortung zu übernehmen und zu einer entwaldungsfreien Produktion aufzuschließen".
Briefing für die Entscheidungsebene: Bezieht die kleinen Landwirtschaftsbetriebe ein
Zusammen mit weiteren Nichtregierungsorganisationen hat FERN in einem Briefing erläutert, wie die EU sicherstellen kann, dass die Verordnung Gemeinschaften und kleinbäuerliche Betriebe – die Hauptakteure bei der Produktion von Wald- und Ökosystem-Risikowaren – nicht schadet. Die EU brauche eine intelligente und umfassende Mischung aus nachfrage- und angebotsseitigen Maßnahmen, um der Entwaldung, der Waldschädigung und der Zerstörung anderer Ökosysteme Einhalt zu gebieten. Hierzu gehörten:
- Gemeinsam mit den Erzeugerländern unter angemessener Beteiligung der Kleinbauern selbst entwickelte Fahrpläne und Anreizsysteme zur Erfüllung der EU-Anforderungen
- Stärkung von Besitzrechten, leichterer Zugang zu erschwinglichen Finanzmitteln und Krediten und Förderung von landschaftsbezogenen nachhaltigen landwirtschaftlichen Ansätzen, bei denen Bauernverbände, der Privatsektor und Regierungen zusammenarbeiten.
Die EU dürfe ihren Regelungsvorschlag nicht abschwächen, damit kleinbäuerliche Betriebe nicht vom EU-Markt ausgeschlossen werden. Maßnahmen zur Unterstützung von Kleinbäuer*innen dürften den Vorschlag sogar noch wirksamer machen, so die Organisationen. Dies sei nicht nur sozial gerecht, sondern helfe dabei, die EU-Verpflichtungen im Rahmen des Europäischen Green Deal, des Pariser Abkommens, des Übereinkommens über die biologische Vielfalt und der Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erfüllen.
Forst oder Öko? An der EU-Waldstrategie wird gehobelt
Nicht nur der Vorstoß der beiden konservativen Landwirtschaftsministerinnen aus Deutschland (CDU) und Österreich (ÖVP), die EU-Waldstrategie in dieser Form zurückzuweisen (EU-News 16.09.2021), zeigt, wie umkämpft der Vorschlag der EU-Kommission vom Juli (EU-News 20.07.2021) ist. Bei einer Debatte der Nachrichtenplattform Euractiv, deren Videomitschnitt jetzt veröffentlicht wurde, zeigte sich die Kluft auch zwischen grünen und sozialdemokratischen Abgeordneten verschiedener nordischer EU-Mitgliedstaaten, analysierte das Medium.
Während sich die schwedische Sozialdemokratin Jytte Guteland für eine Waldbewirtschaftung aussprach, bei der die Nutzung von Holz in weniger gut CO2-absorbierenden Wäldern möglich sein sollte, konterte der grüne Abgeordnete Ville Niinistö (Finnland), dass das Fällen von Bäumen niemals Kohlenstoffsenken vergrößere. Unter "nordischen Bedingungen" könnten selbst alte oder abgestorbene Wälder Kohlenstoff für Hunderte von Jahren speichern, meinte Niinistö. Die nordischen Länder haben aus wirtschaftlichen Gründen (Holz-, Zellstoff- und Papierindustrie) ein gesteigertes Interesse an der europäischen Forstpolitik.
Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit der Life Terra-Stiftung durchgeführt und behandelte die Wiederherstellung von Wäldern und Baumpflanzaktionen sowie deren Einfluss auf Klimawandel und -anpassung. Renaturierungsmaßnahmen sind derzeit ein weiteres großes Naturschutzthema auf EU-Ebene.
SER-Erklärung für ein starkes EU-Gesetz zur Wiederherstellung von Natur
Die EU-Kommission will noch in diesem Jahr einen Gesetzesvorschlag für verbindliche Wiederherstellungsziele vorlegen. Im September und Oktober sollen die Arbeiten am Entwurfstext in diversen Gremien voranschreiten, Mitte November sollen ein finaler Text sowie eine Folgenabschätzung vorliegen, am 22. Dezember ist die Veröffentlichung des Gesetzes vorgesehen. Dann geht die Diskussion in Rat und Parlament weiter.
Die Gesellschaft für ökologische Wiederherstellung (Society for Ecological Restauration - SER) hat Anfang September eine Erklärung veröffentlicht, die möglichst strenge und ehrgeizige EU-Ziele für die Renaturierung von Ökosystemen und Landschaften einfordert. Darin enthalten sind Forderungen nach der Festlegung eines Rechtsgrundsatzes zur ökologischen Wiederherstellung, der das höchstmögliche Maß an Wiederherstellung in Ergänzung des Präventions- und Vorsorgeprinzip zum Ziel hat. Zudem werden in der Erklärung zusätzliche Vorschriften verlangt, die die bereits existierenden ergänzen, sowie die Festlegung von Gebieten, die eine besonders hohe Priorität für Renaturierungsmaßnahmen haben, weil sie aus Klimagründen essenziell sind. Die Maßnahmen sollten wissenschaftsbasiert erfolgen und auf Naturlandschaften, Agrarlandschaften, städtische Räume und Bergbaugebiete zugeschnitten sein. Es müsse langfristige Zugeständnisse, Leitlinien für die Entscheidungsebene, Überprüfung und Berichterstattung sowie ausreichende Finanzmittel geben. Nicht zuletzt müssten die Maßnahmen für den Klimaschutz naturverträglich sein, forderte die SER. [jg]
FERN-Pressemitteilung: Dropping rubber from the EU’s deforestation-free supply chain regulation is not an option
FERN et a. Briefing: Including smallholders in eu action to protect and restore the world’s forests
Euractiv: Forest policy splits Nordic lawmakers in the European Parliament
SER-Erklärung: Scientists in support for an ambitious eu nature restoration law
LULUCF – Klimarettung durch natürliche CO2-Senken?
Der DNR-Steckbrief zu Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft - kurz LULUCF (Land Use, Land Use change and Forestry) bietet einen kompakten Überblick über den LULUCF-Sektor und geht der Frage nach, warum es keine gute Idee ist, LULUCF auf die EU-Klimaziele anzurechnen. Denn Wälder, Ackerland, Grünland, Moore und Feuchtgebiete sowie Siedlungen sind nicht immer und überall natürliche CO2-Senken. Ebenso geht der Steckbrief auf Forderungen von Klima- und Umweltorganisationen ein, die sich sowohl an die EU-Institutionen als auch an Deutschland richten. Weiterlesen
Zeitplan EU-Waldstrategie
Vorbereitungen auf EU-Ratsebene laufen
- Im September diskutieren die Mitgliedstaaten den Entwurf der EU-Kommission. Außerdem tagt eine entsprechende Ratsarbeitsgruppe zur Vorbereitung der Schlussfolgerungen.
- 6. Oktober: Umweltrat diskutiert die EU-Waldstrategie.
- 11.-12. Oktober: Der Agrar- und Fischereirat diskutiert die Schlussfolgerungen.
- 15. November: Der Agrarrat wird voraussichtlich Schlussfolgerungen und damit den Ratsstandpunkt beschließen.