Leak der EU-Forststrategie entfacht Argumentefeuer
Ein durchgesickerter Entwurf der EU-Kommission zu Wäldern ("New EU Forest Strategy post-2020") hat gemischte Reaktionen ausgelöst. Die offizielle Veröffentlichung ist für den 20. Juli geplant, doch hinter den Kulissen tobt die Auseinandersetzung zwischen Naturschutz und Naturnutzung. Greenpeace wirft Unternehmen, die mit potenziell wälderzerstörenden Produkten Geld verdienen, vor, sie versuchten, den Entwurf zu untergraben. In der Tat bringt sich unter anderem die schwedische Forstindustrie bereits in Stellung. Das Waldschutzbündnis Forest Defenders Alliance fordert dagegen noch mehr Biss bei den Details des Kommissionsentwurfs.
Was steht drin in der neuen EU-Strategie?
Die EU-Kommission hat es sich zur Aufgabe gemacht, "den Schutz, die Wiederherstellung und Vergrößerung der Wälder in der EU zu fördern, um den Klimawandel zu bekämpfen, den Verlust der biologischen Vielfalt umzukehren und widerstandsfähige Waldökosysteme zu gewährleisten". Insofern sollten auch keine ganzen Bäume mehr für die Energieproduktion genutzt und keine Forsten als reine Bioenergiequelle angepflanzt werden. Totalen Kahlschlag gelte es genauso zu vermeiden wie Pflanzungen, die die biogeografischen Bedingungen nicht beachten.
In enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und den forstwirtschaftlichen Interessengruppen will die EU-Kommission laut Entwurf zusätzliche Indikatoren sowie Schwellenwerte oder Bandbreiten für die nachhaltige Waldbewirtschaftung festlegen, die insbesondere die Gesundheit der Waldökosysteme, die biologische Vielfalt und die Klimaziele betreffen. Die Verordnung über forstliches Vermehrungsgut soll überarbeitet und ergänzt werden, so dass klimaresistentere Arten besser verfügbar sind. Was die Klimaresistenz angeht, sollen auch Forschung und Innovation verbessert und das in der EU-Biodiversitätsstrategie anvisierte Ziel mit drei Milliarden gepflanzter Bäume bis 2030 durch das Ziel "richtiger Baum am richtigen Ort für den richtigen Zweck" ergänzt werden.
Für private Waldbesitzer*innen, die von der Nutzung ihrer Wälder leben, sollte es finanzielle Anreize für umweltbezogene Maßnahmen geben - aus den Mitteln für ländliche Entwicklung und aus Mitteln der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Außerdem entwickele die Kommission einen Rechtsrahmen für die Zertifizierung des Kohlenstoffabbaus, wie im Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft angekündigt. Eine Mitteilung für einen entsprechenden Aktionsplan sowohl für die Kohlenstoffbewirtschaftung als auch für dessen Abbau will sie bis Ende 2021 veröffentlichen. Rechtlich verbindliche Renaturierungsziele, Leitlinien zum strengen Schutz alter Wälder, Leitlinien zur ökologischen Wiederaufforstung sowie "näher-an-der-Natur"-Praktiken in der Forstwirtschaft stehen ebenfalls auf der Liste des 18 Seiten langen Dokuments. Zudem sollen langlebige Produkte gefördert werden.
Forest Defenders Alliance: Bioökonomie ist kein Allheilmittel
Das Hauptproblem des Entwurfs ist aus Sicht der Forest Defenders Alliance "die Leichtgläubigkeit, mit der weiterhin das Konzept der Bioökonomie als Mittel des Klimaschutzes behandelt" wird und dabei gleichzeitig "die grundsätzliche Unvereinbarkeit einer 'außerordentlichen und dringenden Erhöhung des jährlichen Netto-Waldzuwachses' bei gleichzeitiger Steigerung der Waldnutzung" verkennt. Dass der Entwurf die Überwachung und Regelung sowie eine Zertifizierung von Wäldern und der Forstwirtschaft einplant, begrüßt die Alliance. Allerdings müsste sich dies alles streng an der Wissenschaft orientieren und auch Nichtregierungsorganisationen einbeziehen. Vor allem bedürften alte Wälder und Primärwälder eines sofortigen Abholzungsstopps, auch wenn sie noch nicht offiziell kategorisiert worden seien. Ein freiwilliges "näher-an-der-Natur"-Zertifikat bleibe zahnlos. Solange es keine klaren gegenteiligen Leitlinien und überhaupt eine geeignete Methodologie für Kohlenstoffbewirtschaftung gebe, bleibe die Gefahr, dass weiterhin Monokulturen angepflanzt würden.
Schwedische Forstindustrie: "Ein inakzeptabler Versuch, die Forstwirtschaft zu regulieren"
Der Entwurf der EU-Kommission beinhalte nicht eine Strategie, sondern eine ganze Gemeinsame Forstwirtschaft – und das geht dem Industrieverband aus Schweden eindeutig zu weit. Die Strategie zeige "einen klaren Mangel an Verständnis", wie Waldbewirtschaftung und forstbasierte Industrie funktionierten, und überschreite die Regelungskompetenzen der EU. Der Vorschlag einer künftigen EU-Gesetzgebung zum Waldmonitoring und zur gemeinsamen EU-Waldbewirtschaftungsplanung – einschließlich strategischer Pläne für Wälder für 10, 30 und 50 Jahre – wolle im Detail regeln, wie Wälder genutzt und bewirtschaftet werden können und was die Forstindustrie produzieren soll. "Wir widersetzen uns allen Versuchen für eine solche Brüsseler zentralisierte Planwirtschaft", so die Swedish Forest Industry. Dies führe im schlimmsten Fall dazu, "Stimmen des Protektionismus, der Anti-EU-Kooperation und des Nationalismus" zu schüren.
Letzteres Argument empört hinter den Kulissen viele Waldschutzorganisationen. Umfragen und Protestaktionen der Zivilgesellschaft in Polen, Estland, Schweden, Deutschland oder Frankreich hätten längst gezeigt, dass ein Ende der Abholzung, Misswirtschaft und/oder Korruption vielerorts dringend gefordert werden. Es herrsche oft mangelnde Transparenz darüber, wie Entscheidungen über die Waldbewirtschaftung getroffen werden, die industrialisierte Waldbewirtschaftung zerstöre die Artenvielfalt und verringere die Fähigkeit, EU-weite und globale Klimaziele zu erreichen. Zudem haben sich mehr als eine Million Menschen an der #TogetherForForest-Kampagne beteiligt, die alle einen fortschrittlichen Waldschutz gefordert hätten.
Greenpeace Europa: "Waldzerstörende Industrien versuchen, das neue EU-Waldgesetz zu sabotieren"
Greenpeace Europa hat einen Bericht herausgebracht, der aufzeigt, wie Unternehmen und Verbände in Sektoren von Fleisch über Palmöl bis hin zu Papier die EU – mittels Eingaben zu öffentlichen Konsultationen der EU-Kommission sowie öffentlichen Erklärungen und Lobbymaterialien – zu schwachen Regulierungen oder Schlupflöchern für ihre Produkte drängen, auch wenn sie gleichzeitig sagen, dass sie sich für die Bekämpfung der Entwaldung einsetzen. Sini Eräjää, Kampagnenleiterin für Landwirtschaft und Wald bei Greenpeace, sagte: "Ein neues EU-Gesetz ist dringend notwendig, um zu verhindern, dass Europas Konsum die Abholzung vorantreibt, aber die Unternehmen, die von dieser Zerstörung profitieren, verhalten sich wie dreiste Schulkinder – sie zeigen mit dem Finger auf andere, bestehen darauf, dass sie die Arbeit bereits erledigt haben, oder beschweren sich, dass sie ungerecht behandelt werden."
Klimawandel und Waldbrandverhütungsmaßnahmen
Das Gemeinsame Forschungszentrum (JRC) der EU-Kommission hatte bereits im Februar herausgestellt, dass der Klimawandel mehr als die Hälfte der Wälder Europas anfälliger für Gefahren wie Brände, Insektenbefall, Windwurf oder eine Kombination dieser drei Faktoren gemacht hat (EU-News 25.02.2021). Nicht von ungefähr hat die EU-Kommission am Montag mitgeteilt, dass die europäische Löschflotte im Rahmen des rescEU-Systems inzwischen aus elf Löschflugzeugen und sechs Hubschraubern besteht, die von verschiedenen Mitgliedstaaten betrieben werden. Die EU bereitet sich auf große Flächenbrände vor - die "Waldbrandsaison 2021" startet. Darüber hinaus hat die Kommission den Mitgliedstaaten Leitlinien zur Verstärkung ihrer Brandverhütungsmaßnahmen an die Hand gegeben. [jg]
Entwurf der EU-Forststrategie der EU/Leak
Reaktion Forest Defenders Alliance
Reaktion schwedische Forstindustrie: Forest Strategy: an unacceptable attempt to regulate forestry
Reaktion Greenpeace Europabüro: Forest-wrecking industries try to sabotage new EU forest law
Pressemitteilung EU-Kommission: Waldbrände: Europäische Kommission verstärkt Vorbereitungen für die Waldbrandsaison 2021