EU-Taxonomie: erste Kriterien für grüne Investitionen stoßen auf Kritik
Die EU-Kommission hat am Mittwoch erste technische Kriterien für die Umweltziele „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“ präsentiert. Die Entscheidung über Gaskraftwerke und Atomkraft wird vertagt. Fünf NGOs verlassen aus Protest die Plattform für nachhaltige Finanzen.
Was ist drin?
Der EU-Kommission zufolge umfasst der angenommene delegierte Rechtsakt „wirtschaftliche Tätigkeiten von etwa 40 Prozent der börsennotierten Unternehmen in Sektoren, auf die knapp 80 Prozent der direkten Treibhausgasemissionen in Europa entfallen. Zu diesen Sektoren gehören Energie, Forstwirtschaft, Herstellung, Verkehr und Gebäude.“
Brüssel versicherte außerdem, dass die Verordnung zur EU-Taxonomie regelmäßig „an neue Entwicklungen und den technischen Fortschritt angepasst“ und die Kriterien laufend überprüft würden.
Die für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und Kapitalmarktunion zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuiness erklärte, dass die Regeln für Forstwirtschaft und Bioenergie im Einklang mit der kommenden EU-Forstwirtschaftsstrategie und der überarbeiteten Richtlinie für erneuerbare Energien, die im Juni vorgelegt werden soll, aktualisiert würden. Bioenergie werde unter den aktuellen EU-Regeln als kohlenstoffneutral angesehen. So zitiert das Online-Nachrichtenportal Euractiv McGuiness.
Was ist außen vor?
Es hatte sich bereits in der vergangenen Woche abgezeichnet (EU-News vom 15.04.2021): Die Kommission vertagt die endgültige Entscheidung über die Klassifizierung von Atomkraft und fossilem Gas auf einen späteren Zeitpunkt.
Laut EU-Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis könne eine Entscheidung darüber schon im Juni kommen, wenn weitere Rechtsakte, die sich mit „Übergangsaktivitäten“ befassen, veröffentlicht werden sollen. Euractiv zitierte Dombrovskis mit den Worten „und wir werden auch einen separaten Legislativvorschlag, eine separate Verordnung, in Betracht ziehen, um zu sehen, wie man die Rolle von Gas bei der Abkehr von der Kohle sicherstellen kann“.
Beim Thema Atomkraft überprüfen EU-Expert*innen derzeit den Bericht des Gemeinsamen Forschungszentrums (JRC) der EU-Kommission, insbesondere mit Blick auf den Umgang mit nuklearen Abfällen (EU-News vom 01.04.2021). Abhängig von der Bewertung könne die Atomenergie in den für Juni angekündigten Vorschlag aufgenommen werden, sagte Dombrovskis.
Was die Einbeziehung der Landwirtschaft in die nachhaltigen Finanzen betrifft, wolle die Kommission abwarten, „bis die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik abgeschlossen ist“, sagte McGuiness laut Euractiv (zum Stand der Verhandlungen: EU-News vom 30.03.2021).
Geteiltes Echo bei Umweltschützer*innen
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und die Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt bezeichneten den Rechtsakt als einen Zwischenerfolg. Denn die Kommission habe Erdgas und Atomkraft bisher „nicht als nachhaltige Investition klassifiziert, trotz intensiver Lobbyarbeit der Industrie“. Brüssel dürfe auch bei der finalen Entscheidung im Herbst nicht gegenüber den Lobbyverbänden einknicken.
Das Europabüro von Greenpeace hingegen kritisierte, dass die Entscheidung verschoben wurde. Man dürfe nicht noch mehr Zeit mit Debatten über offensichtlich falsche Lösungen wie fossiles Gas, Atomenergie und Bioenergie vergeuden, machte Silvia Pastorelli deutlich.
Nach Auffassung des europäischen Büros des WWF ist es „eine katastrophale Nachricht für das Klima und die Artenvielfalt“, dass der industrielle Holzeinschlag und das Verbrennen von Bäumen zur Energiegewinnung als nachhaltige Investitionen eingestuft werden. Der WWF warf der Kommission Greenwashing im Finanzsektor vor. Mit dieser Entscheidung zur Bioenergie, die die Handschrift der waldreichen EU-Länder Schweden und Finnland trage, werde „die wissenschaftsbasierte Taxonomie zu einer lobbybasierten Taxonomie“.
Die Umweltorganisationen riefen das EU-Parlament und den Rat der EU dazu auf, den delegierten Rechtsakt abzulehnen. In diesem Fall wäre die Kommission gezwungen, den Rechtsakt zu überarbeiten.
NGOs treten von Plattform für nachhaltige Finanzen zurück
Die Umweltorganisationen Transport & Environment (T&E), WWF, BirdLife Europe and Central Asia, die Verbrauchergruppe BEUC und die Ökostandard-NGO ECOS erklärten als Reaktion auf die Veröffentlichung des delegierten Rechtsakts geschlossen ihren Rückzug von der Plattform für nachhaltige Finanzen. Darüber hinaus fordern sie Gespräche mit der Kommission über Regeln, die wirksam verhindern sollen, dass die wissenschaftliche Grundlage der EU-Taxonomieverordnung weiter gefährdet werde.
Luca Bonaccorsi von T&E erklärte: „Das Taxonomiegesetz sollte der Goldstandard für nachhaltige Finanzen sein. Aber das Ergebnis war das Greenwashing von schmutzigen Frachtschiffen, mit fossilem Gas betriebenen Bussen und dem Abholzen und Verbrennen von Bäumen. Die Umweltschützer werden nicht zurückkommen, bis die Kommission zur Wissenschaft zurückkehrt.“
Die Plattform ist ein beratendes Gremium, welches die Kommission bei verschiedenen Aufgaben und Themen der EU-Taxonomie berät und bei der technischen Vorbereitung delegierter Rechtsakte unterstützt. Der Plattform gehören 57 Mitglieder und zehn Beobachter*innen an.
Was noch?
Die Kommission hat am Mittwoch zusätzlich einen Vorschlag präsentiert, mit welchem die geltenden Bestimmungen der Richtlinie über die nichtfinanzielle Unternehmensberichterstattung überarbeitet werden sollen (EU-News vom 22.04.2021).
Darüber hinaus beschloss die Kommission Änderungen der delegierten Rechtsakte zu Anlage- und Versicherungsberatung, treuhänderischen Pflichten und zu Aufsichts- und Lenkungsanforderungen bei Anlage- und Versicherungsprodukten.
Mitteilung der EU-Kommission zum Paket nachhaltiger Finanzen
Greenpeace EU: EU taxonomy: Commission backs ‘green’ investments for burning trees
Transport & Environment: Greenwashing of EU finance law sparks walk-out by experts
WWF EU: WWF suspends activities in Commission’s Sustainable Finance Platform
WWF EU: EU climate taxonomy imperils nature and climate - WWF opposes final Act
Euractiv: EU spells out criteria for green investment in new ‘taxonomy’ rules
Hintergrundinformationen
Verordnung 2020/852 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088 (EU-Taxonomie-Verordnung)
EU-Kommission: Platform on sustainable finance
EU-Kommission: Durchführungsrechtsakte und delegierte Rechtsakte
Redakteurin: Ann Wehmeyer
Update (23.04.2021): Kriterien für Plastikabfälle verwässert
Die Umweltorganisation Zero Waste Europe, die sich für eine Kreislaufwirtschaft starkmacht, erklärte gegenüber Euractiv, dass die Taxonomie-Kriterien im Bereich Abfall und Kunststoffe offenbar abgeschwächt wurden, im Vergleich zu einer geleakten Version von vergangener Woche.
Der durchgesickerte Entwurf hätte das chemische Recycling, ein Prozess zur Aufspaltung von Plastik, als letzte Option gegenüber den traditionellen mechanischen Recyclingverfahren definiert, die weniger energieintensiv sind. In der nun veröffentlichten Fassung habe sich die Bewertung des chemischen Recyclings von "wenn ein mechanisches Recycling nicht möglich ist" zu "wenn ein mechanisches Recycling technisch nicht machbar oder wirtschaftlich nicht tragbar ist" geändert.
Im finalen Text sei zudem die Bestimmung gestrichen worden, dass chemische Prozesse mindestens 27 Prozent weniger Treibhausgasemissionen über den Lebenszyklus erzeugen müssen als die Herstellung aus unbehandelten Rohstoffen, um als nachhaltig zu gelten. Dieser Prozentanteil sei auch für Kunststoff aus erneuerbaren Rohstoffen gestrichen worden.
Jetzt heißt es lediglich, dass die Emissionen niedriger sein müssen als die Lebenszyklus-Treibhausgasemissionen des entsprechenden Kunststoffs in Primärform, der aus Neuware hergestellt wird.
Zero Waste Europe begrüßte hingegen, dass Müllverbrennung von der Taxonomie für nachhaltige Finanzen ausgeschlossen ist.
Euractiv: Last minute EU taxonomy changes water down sustainability criteria for waste, NGOs say