Biodiversitätsschutz ist auch Selbstschutz
Anlässlich des Weltgesundheitstages am 7. April forderte der WWF Zentral- und Osteuropa (WWF CEE), dass die Regierungen weltweit gegen illegalen Wildtierhandel und kriminielle Abholzungspraktiken vorgehen. Pro Wildlife verweist auf die fortgesetzten EU-Importe von Wildtieren. Die angekündigte neue EU-Forststrategie steht noch aus. Die Initiative Lieferkettengesetz fordert rechtlich verbindliche Pflichten.
"Es gibt keine Gesundheit ohne einen gesunden Planeten", mahnt der WWF-CEE angesichts der globalen Corona-Pandemie. Nach der Zerstörung von Natur sei der illegale Wildtierhandel die zweitgrößte Gefahr für die globale Biodiversität. Zudem steige die Zahl der Umweltverbrechen laut Interpol mit Verweis auf die Kriminalitätsstatistik an. Wie viele andere Umweltorganisationen und zahlreiche Wissenschaftler*innen warnt auch der WWF Deutschland vor dem Zusammenhang zerstörter Naturräume und der Zunahme von aus der Tierwelt stammenden Erregern, die Krankheiten wie Covid-19, Ebola, SARS oder MERS auslösen: "Ein Schlüsselfaktor im Kampf gegen die Viren und andere Infektionserreger ist der Schutz der biologischen Vielfalt und vitaler Ökosysteme, allen voran der letzten großen Wälder. Wenn Lebensräume zerstört werden, fallen natürliche Barrieren weg. Das bringt Arten in Kontakt zueinander, die vorher nicht im Kontakt waren. Außerdem entsteht eine neue, räumliche Nähe zum Menschen."
Bundesumweltministerin Svenja Schulze äußerte sich Anfang April ähnlich (Pressemitteilung Nr. 053/20): "Gute Naturschutzpolitik, die vielfältige Ökosysteme schützt, ist eine wichtige Gesundheitsvorsorge gegen die Entstehung neuer Krankheiten. Ich würde es sehr begrüßen, wenn der Weltbiodiversitätsrat den globalen Wissensstand zu diesen Fragen sammelt, aufarbeitet und der Politik weltweit zur Verfügung stellt. Denn die Weltgemeinschaft hat nach der Pandemie die Chance, eine neue globale Biodiversitätsstrategie zu beschließen – und so zu zeigen, dass sie aus den Pandemien der Vergangenheit gelernt hat." Die Tagesschauredaktion hat es kurz und knapp in einer Überschrift auf den Punkt gebracht: "Die Lehren aus Corona: Mehr Naturschutz, weniger Seuchen".
Doch die ursprünglich für Oktober geplante Staatenkonferenz zum Übereinkommen über biologische Vielfalt (CBD) ist wegen der Pandemie auf bisher unbestimmte Zeit verschoben worden. Auch die UN-Klimakonferenz, die im November in Glasgow stattfinden sollte, wurde vertagt. Dabei gilt es, auch die Klimakrise nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen anzugehen, schreibt John Scott, Leiter Nachhaltigkeitsrisiken bei der Zurich Gruppe für das Weltwirtschaftsforum: "Darüber hinaus erweitert der Klimawandel das Spektrum der Mücken, die Malaria und Dengue-Fieber übertragen, und treibt auch die weltweiten Wanderungsbewegungen von Menschen an – "Klimaflüchtlinge", die oft gestresst und arm an ihrem Ziel ankommen und gezwungen sind, in überfüllten Umgebungen zu leben."
Neben der Naturzerstörung birgt auch der Wildtierhandel etliche Gefahren für intakte Ökosysteme, aber auch für den Gesundheitsschutz. Der Deutsche Natruschutzring hat bereits im März zusammen mit anderen Organisationen in einem Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn ein Verbot von Wildtieren gefordert. Sandra Altherr von ProWildlife schreibt in ihrem Artikel "Corona und der Tierhandel": "Wer weiß schon, dass China der größte Lieferant der EU für lebende Reptilien ist? Von den 5,6 Millionen Schlangen, Echsen und Schildkröten, die die EU in den letzten fünf Jahren lebend für hiesige Terrarien importierte, stammten mehr als zwei Millionen Tiere aus China! Für alle anderen Tiergruppen, darunter Säuger, Amphibien oder Fische, wird die Einfuhr nicht einmal erfasst, es sei denn, es handelt sich um international geschützte Arten, was nur einen Bruchteil der Importe ausmacht." Dies sei nicht per se brandgefährlich, aber die Risiken dürften auch nicht verharmlost werden. Das durch Corona ausgelöste chinesische Tierhandelsverbot habe bislang noch massive Lücken, kritisiert Altherr. Es gelte nur für den Handel mit Tieren als „Lebensmittel“, nicht als „Medizin“, Heimtiere oder für Pelze. Außerdem seien bestimmte Tiergruppen, wie etwa gezüchtete Reptilien und Amphibien oder manche Säugetiere, die kurzerhand zu „Nutztieren“ umdeklariert wurden, vom Verbot ausgenommen. Die EU reagiere bislang "nur mit großer Verzögerung und sehr punktuell auf drohende Zoonosen". Dabei wären Importverbote aus vielen Gründen zu empfehlen, so Altherr: Neben dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung und dem Biodiversitätsschutz in den Heimatländern der durch Handel geplünderten Arten würde auch die hiesige Natur profitieren. So habe der EU-Importstopp für Wildvögel seit 2005 (H5N1-Vogelgrippewelle) gezeigt, dass die Gefahr durch invasive Vögel stark zurückgegangen ist. Einfuhren für Wildfänge sind seit 2007 dauerhaft verboten, Nachzuchten dürfen nur aus registrierten Zuchtbetrieben einiger weniger Länder in die EU stammen.
Anfang Februar diskutierten Expert*innen während der Konferenz „Wälder für Biodiversität und Klimawandel“, über notwendige Maßnahmen der EU im Bereich der Forstpolitik (EU-News 06.02.2020). Im Rahmen des European Green Deal hat die EU-Kommission eine neue EU-Forststrategie angekündigt. Diese soll zerstörte Wälder aufforsten und den europäischen „Entwaldungs-Fußabdruck“ außerhalb der EU verringern. Umweltorganisationen fordern klare Regulierungen entlang der Lieferketten, die die Zerstörung von Ökosystemen und Menschenrechtsverletzungen ausschließen. Darüber hinaus dürfe die EU-Kommission nicht auf plantagenartige Aufforstungen mit schnell wachsenden Baumarten setzen und müsse bestehende Ur- und Naturwälder schützen. Die Waldschutzorganisation FERN hat in einer Publikation gute Praxisbeispiele für Wald- und Klimaschutz zusammengestellt (Forests of Hope). Die angekündigte EU-Biodiversitätsstrategie 2030 soll übrigens Ende April veröffentlicht werden.
Die in der Initiative Lieferkettengesetz zusammengeschlossenen Verbände haben derweil einen Zwischenbericht der Bundesregierung zum Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte kommentiert. Demnach hält sich nicht einmal ein Fünftel der befragten Unternehmen freiwillig an menschenrechtliche Standards. Die Veröffentlichung eines Eckpunktepapiers für ein Lieferkettengesetz habe laut Redaktionsnetzwerk Deutschland das Bundeskanzleramt Mitte März verhindert. Dabei sei es gerade jetzt ein wichtiges Thema: "Denn die Corona-Krise führt uns auf dramatische Weise vor Augen, in welchem Maße Transparenz und Sorgfalt in globalen Lieferketten in unser aller Interesse liegen. Gerade in diesen Tagen zeigt sich, wie wenig einige Unternehmen über ihre eigenen Lieferketten wissen" (Pressemitteilung 18.03.2020). Der Deutsche Naturschutzring hat anlässlich der Debatte im Bundeskabinett am Mittwoch über Leitlinien zum Import von Agrarrohstoffen gesetzlich verbindliche Regeln für eine entwaldungsfreie Lieferkette und ein Umdenken in der Agrarpolitik gefordert: "weg vom Exportdenken und hin zu einer Landwirtschaft, die regional produziert und konsumiert". [jg]
WWF-CEE Pressemitteilung zum Weltgesundheitstag
WWF-Studie The Loss of Nature and Rise of Pandemics (PDF, engl., 2 MB)
WWF Deutschland Pressemitteilung: Umweltzerstörung und Gesundheit: Schlägt die Natur zurück?
Weltwirtschaftsforum: Artikel "Biodiversity loss is hurting our ability to prepare for pandemics" (John Scott)
Pro Wildlife: Corona und der Wildtierhandel und Hintergrund: Pro-Wildlife-Studie auf der Seite des Bundesamtes für Naturschutz: „Strategien zur Reduktion der Nachfrage nach als Heimtieren gehaltenen Reptilien, Amphibien und kleinen Säugetieren“
Pressemitteilung des Bündnisses für ein Lieferkettengesetz
Pressestatement des DNR zur Debatte im Bundeskabinett über Leitlinien zum Import von Agrarrohstoffen vom 08.04.2020