Natur und Wälder im "Fit for 55"-Paket
Unter der Überschrift „Nachhaltige Nutzung unserer natürlichen Ressourcen“ sind in einem Factsheet der EU-Kommission die Vorschläge für die veränderte LULUCF-Verordnung, die Nutzung von nachhaltiger Bioenergie in der angepassten Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) und die künftige neue Waldstrategie für 2030 im "Fit for 55"-Paket zusammengefasst.
Vorschlag für Änderungen der Verordnung über Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF)
Die Kommission schlägt vor, verbindliche Ziele für die Mitgliedstaaten zur Steigerung des Netto-CO2-Abbaus im Bereich Landnutzung und Forstwirtschaft im Zeitraum 2026-2030 einzuführen und die Compliance-Vorschriften zu vereinfachen. Es wäre ein dreistufiger Ansatz für die Zeiträume bis 2025, von 2026 bis 2030 und von 2031 bis 2035 mit aufeinander aufbauenden Zielvorgaben. Mit diesen neuen Zielvorgaben für die Mitgliedstaaten soll bis 2030 ein Netto-CO2-Abbau von insgesamt 310 Millionen Tonnen Treibhausgase (CO2-Äquivalent) in der Union erreicht werden, das heißt rund 15 Prozent mehr als heute. Die Primärproduktion von Lebensmitteln und Biomasse soll bis 2035 klimaneutral werden, wobei auch die Nicht-CO2-Emissionen aus der Landwirtschaft, etwa aus der Düngung und der Viehzucht, berücksichtigt werden sollen. Die Mitgliedstaaten müssen bis Mitte 2024 in ihren nationalen Energie- und Klimaplänen darlegen, wie sie dieses Ziel erreichen wollen. Da es eine gewisse Flexibilität geben müsse, um Waldbrände, Schädlingsbefall beziehungsweise "natürliche Störungen oder unvorhergesehene Änderungen der Holzeinschlagsraten" mit entsprechend "extremen Emissionen" auszugleichen, habe die EU-Kommission die bereits vorgesehenen Flexibilitätsbestimmungen für den Zeitraum 2026-2030 angepasst und verbessert.
Überwachung, Berichterstattung und Prüfung der Emissionen und des Abbaus von Treibhausgasen sollen ebenso verbessert werden (beispielsweise durch verstärkte Nutzung geografischer Daten und der Fernerkundung) wie ein Anreizrahmen für die Speicherung von Kohlenstoff in langlebigen, wiederverwerteten Holzprodukten.
Unterstützung finden sollen die EU-Mitglieder beziehungsweise Land- und Forstwirt*innen bei ihren Bemühungen um eine nachhaltigere Bewirtschaftung ihrer Wälder und Böden im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik. Die Kommission arbeite derzeit außerdem an weiteren Fördermaßnahmen wie der Initiative für eine klimaeffiziente Landwirtschaft und der Zertifizierung des CO2-Abbaus, mit denen neue Geschäftsmodelle geschaffen und die Land- und Forstwirt*innen, die klimafreundlichere Methoden anwenden, belohnt werden sollen.
Reaktion auf die Lastenteilungsverordnung und LULUCF
Das Europäische Umweltbüro (EEB) fordert ein deutlich konkreteres 2030-Reduktionsziel in der Landwirtschaft von einem Fünftel weniger Emissionen gemessen am Bezugsjahr 2005. Die EEB-Landwirtschaftsexpertin Morgan Reille sagte in Bezug auf die Effort Sharing Regulation (ESR) und LULUCF: "Die bisherige klimapolitische Architektur hat dem Landwirtschaftssektor bereits einen Freifahrtschein im Kampf gegen den Klimawandel gegeben. Das heutige Paket wird den Sektor nicht dazu bringen, einen fairen und effektiven Beitrag zu den Klimaschutzmaßnahmen für das nächste Jahrzehnt zu leisten. Wir vermissen ein spezifisches verbindliches Ziel auf EU-Ebene, die Emissionen aus landwirtschaftlichen Tätigkeiten - verglichen mit dem Niveau von 2005 - im Rahmen der Effort-Sharing-Verordnung bis 2030 um mindestens 20 Prozent zu reduzieren."
LULUCF-Verordnung - Anpassung vom 14.07.2021
Reaktion EEB: EU’s ‘Fit for 55’ is unfit and unfair
Änderung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) erntet erheblichen Protest
"Nachhaltige Bioenergie ist neben anderen erneuerbaren Quellen ein wichtiger Bestandteil des EU-Energiemixes", betont die EU-Kommission in ihrem Factsheet. Die "verantwortungsvolle Nutzung von Bioenergie" trage zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bei und spiele eine wichtige Rolle für die Klimaneutralität der EU. Die im Jahr 2018 verabschiedeten EU-Nachhaltigkeitskriterien für Bioenergie würden mit dem geänderten Vorschlag der EU-Kommission weiter gestärkt, "um die Gesundheit unserer Wälder zu gewährleisten". Die EU-Kommission unterstützt unter anderem:
- Verbot der Beschaffung von Biomasse zur Energieerzeugung aus Primärwäldern, Torfgebieten und Feuchtgebieten;
- Ab 2026 keine Förderung von Waldbiomasse in reinen Stromanlagen mehr;
- Verbot nationaler finanzieller Anreize für die Verwendung von Säge- oder Furnierholz, Stümpfen und Wurzeln zur Energiegewinnung;
- alle auf Biomasse basierenden Wärme- und Stromanlagen müssen Mindestwerte für die Einsparung von Treibhausgasen einhalten.
Darüber hinaus unterstützt die EU-Kommission den Grundsatz der Kaskadennutzung von Biomasse. Holz sollte demnach in folgender Reihenfolge verwendet werden: Zunächst sollten hochwertige Produkte auf Holzbasis wie Baumaterial oder Möbel – davon verspricht man sich die Speicherung von Kohlenstoff in langlebigen Holzprodukten, die auf die nationalen Ziele für den CO2-Abbau angerechnet werden dürfen – so lange wie möglich als solche verwendet werden, bevor sie für einen anderen Zweck genutzt oder recycelt werden. Erst wenn diese Verwendungszwecke ausgeschöpft sind, soll das Holz zur Bioenergiegewinnung eingesetzt werden, und es sollte nur entsorgt werden, wenn es für keinen anderen Zweck mehr geeignet ist.
Von der bei LULUCF bereits erwähnten Verbesserung der Überwachung und Berichterstattung verspricht sich die EU-Kommission auch eine bessere Identifizierung und genauere Überwachung empfindlicher Gebiete wie Feucht- oder kontinuierlich bewaldeter Gebiete. Diese sollten nicht für die Gewinnung von Biomasse genutzt werden und werden in dem Vorschlag zur Änderung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie als „Tabu-Gebiete“ bezeichnet.
Kritische Reaktionen auf die geänderte RED-II-Richtlinie
Die Waldschutzorganisation FERN protestierte, dass die "Wälder für EU-Klimapolitik geopfert" würden. Trotz "überwältigender wissenschaftlicher Beweise, dass die Verbrennung von Waldbiomasse den Klimawandel beschleunigt und die Artenvielfalt zerstört", würde die EU-Kommission ihre eigenen wissenschaftlichen Berater*innen ignorieren und vorschlagen, die Zerstörung von Wäldern durch ihre Politik für erneuerbare Energien weiterhin zu fördern. Außerdem dürften Wälder zum Ausgleich von Emissionen aus dem Agrarsektor genutzt werden. Die Brüsseler Behörde habe zwar die beispiellose Bedrohung der Wälder anerkannt, aber ihre Pläne zur Überwachung und Wiederherstellung der Wälder seien "zu zaghaft".
Für BirdLife macht das "Fit for 55"-Paket mit dem überarbeiteten Richtlinienvorschlag für erneuerbare Energien "zwei Schritte vorwärts und 100 Schritte zurück". Indem die EU-Kommission die Verbrennung von Bäumen für Energie als "nachhaltig" bezeichne, könnten 97 Prozent der europäischen Wälder von Zerstörung bedroht sein. Denn die zu schützenden Primär- und Altwälder umfassten nur einen Bruchteil der Flächen, nämlich 3 Prozent. Der Kommissionsvorschlag zähle fälschlicherweise weiterhin die Verbrennung von Bäumen zur Energiegewinnung als "kohlenstofffrei" im Energiesektor, tue nichts, um die Verbrennung von Waldbiomasse zu beenden, was dem Klima mehr schade als nütze und enthalte die schwache Formulierung, dass die Mitgliedstaaten keine Unterstützung für die Verbrennung von hochwertigem Holz wie "Furnierholz" zur Energiegewinnung gewähren sollen. Das habe aber nur wenig Wirkung, weil die Industrie hauptsächlich Holz mit geringem finanziellem Wert, aber mit hohem Biodiversitäts- und Kohlenstoffwert verbrenne. Der Vorschlag setze der Menge des verbrannten Holzes und der dadurch freigesetzten Luftschadstoffe keine Grenzen und enthalte keine zusätzlichen Beschränkungen für die Nutzung von Nahrungs- und Futtermittelpflanzen für Biokraftstoffe und Biogas. Solche Biokraftstoffe seien aber mit der intensiven landwirtschaftlichen Produktion in Europa und der Abholzung von Wäldern im Ausland verbunden.
Auch Robin Wood übte harsche Kritik: "Während die EU-Biodiversitätsstrategie dazu aufrief, den Erntedruck auf die Wälder zu reduzieren, fordert keine der vorgeschlagenen Überarbeitungen der RED eine Reduzierung der Holzernte. Wie in der früheren Version der RED wird in dem Dokument weiterhin behauptet, dass die Verbrennung von Biomasse die Emissionen im Vergleich zu fossilen Brennstoffen reduziert." Zwar dürften die Mitgliedstaaten in absehbarer Zeit keine Subventionen mehr für reine Verstromungsanlagen gewähren, die Waldbiomasse verbrennen. "Diese Regelung erlaubt jedoch weiterhin die Verbrennung von Biomasse in alten Kohlekraftwerken, insbesondere in Ländern mit einer hohen Kohleabhängigkeit", kritisierte die Organisation. Auch die Kaskadennutzung von Biomasse sei angesichts der Tatsache, dass etwa die Hälfte des in der EU geernteten Holzes zur Energiegewinnung verbrannt wird und die Überarbeitungen nichts dazu beitragen, dies zu reduzieren, kaum als "relevant" zu bezeichnen.
Auch der agrarpolitische Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im EU-Parlament Martin Häusling echauffierte sich: „Nein, nein und nochmals nein. Das Verbrennen von Holz im industriellen Maßstab, vor allem in bisherigen Kohle-Kraftwerken, zur Energiegewinnung kann gar nicht klimafreundlich sein. Das gilt auch für aus Übersee importierte Pellets und andere Holzrohstoffe. Holz ist ein nachwachsender Rohstoff. Das bedeutet aber nicht, dass der beim Verbrennen freigesetzte Kohlenstoff eins zu eins durch die Neupflanzung von Bäumen wieder gebunden werden könnte. Wälder sind keine bloße Ansammlung von Bäumen."
Änderung der Erneuerbaren-Richtlinie: Amendment to the Renewable Energy Directive to implement the ambition of the new 2030 climate target
Reaktion FERN: Forests sacrified for EU climate policy
Reaktion BirdLife: EU Commission labels burning trees for energy ‘sustainable’ - 97% of European forests could be at risk of destruction
Reaktion Robin Wood (gem. mit europ. Verbänden): Vorgeschlagene EU-Bioenergie-Regeln sind leere grüne Rhetorik
EU-Forststrategie als eierlegende Wollmilchsau?
Forstbasierte Bioökonomie unterstützen, für Nachhaltigkeit und Biodiversität sorgen, drei Milliarden Bäume pflanzen - das soll sie alles können, die neue Strategie für die Wälder 2030. Für die EU-Forststrategie war bis zum Redaktionsschluss am Donnerstag allerdings noch kein offizielles Dokument vorhanden, der Leak im Juni (EU-News 24.06.2021) hat die Konfliktpunkte aber schon deutlich zutage gebracht. Die EU-Kommission will die EU-Forststrategie am Freitag um 10 Uhr vorstellen. Am Mittwoch war die Forststrategie jedenfalls nur Teil des erwähnten Factsheets und wurde bei den Pressekonferenzen mündlich erwähnt.
Die neue Waldstrategie für 2030 soll „die Quantität und Qualität der Wälder in der EU verbessern“, indem die Waldfläche in der EU unter Beachtung ökologischer Grundsätze vergrößert und die Widerstandsfähigkeit der Wälder gestärkt wird, heißt es in dem Factsheet der EU-Kommission. Die EU-Waldstrategie soll Forstwirtschaftsbetriebe und die forstbasierte Bioökonomie unterstützen, gleichzeitig für Nachhaltigkeit bei Holzeinschlag und Nutzung von Biomasse sowie den Erhalt der biologischen Vielfalt sorgen und beinhaltet einen Plan zur Pflanzung von drei Milliarden Bäumen in ganz Europa bis 2030.
Der Schutz und die Wiederherstellung von Wäldern soll erfolgen durch:
- den strengen Schutz verbliebener Primärwälder und Wälder mit altem Baumbestand;
- die Etablierung rechtlich verbindlicher Wiederherstellungsziele für Wälder;
- die Anpflanzung von drei Milliarden zusätzlicher Bäume bis 2030;
- die Schaffung von Zahlungssystemen für diejenigen Waldbesitzer*innen und Manager*innen, die die Ökosystemdienstleistungen von Wäldern fördern.
Wälder sollen nachhaltig bewirtschaftet werden, indem:
- der Bioökonomie-Sektor ermutigt wird, Nachhaltigkeitsprinzipien zu übernehmen;
- die Verwendung von nachhaltig geerntetem Holz im Bausektor gefördert wird;
- Win-Win-Maßnahmen für alle in der nachhaltigen Waldbewirtschaftung gefördert werden.
Besser verstehen, was in den Wäldern geschieht, indem:
- der Zustand der Wälder in der EU besser überwacht wird, unter anderem durch bessere Fernerkundung;
- die Mitgliedstaaten Strategiepläne für ihre Wälder entwickeln;
- die EU-Bürger*innen ermutigt werden, sich durch entsprechende Kartierungsinstrumente („Map-My-Tree“) an der Verfolgung des 3-Milliarden-Bäume-Pflanzziels zu beteiligen;
- die Schaffung eines inklusiven Diskussionsraums für alle Interessengruppen.
Forderungen für die neue EU-Forststrategie kamen bereits Ende Juni aus der Zivilgesellschaft (EU-News 30.06.2021). Sobald der finale Text der Strategie veröffentlicht ist, dürften weitere Reaktionen zu erwarten sein.
Factsheet Making Sustainable Use of our natural ressources
Leak vom 24.06.2021, veröffentlicht von Forest Defenders Alliance
Redaktionelle Bearbeitung: Juliane Grüning
Zum neuen "Fit for 55"-Paket siehe auch:
LULUCF – Klimarettung durch natürliche CO2-Senken?
Der DNR-Steckbrief zu Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft - kurz LULUCF (Land Use, Land Use change and Forestry) bietet einen kompakten Überblick über den LULUCF-Sektor und geht der Frage nach, warum es keine gute Idee ist, LULUCF auf die EU-Klimaziele anzurechnen. Denn Wälder, Ackerland, Grünland, Moore und Feuchtgebiete sowie Siedlungen sind nicht immer und überall natürliche CO2-Senken. Ebenso geht der Steckbrief auf Forderungen von Klima- und Umweltorganisationen ein, die sich sowohl an die EU-Institutionen als auch an Deutschland richten. Weiterlesen